Noch bis zum 5. September gibt es auf dem Kölner Neumarkt ein Kulturprogramm. Ein Schwerpunkt der Initiative „Nimm Platz“ ist das tägliche Literaturangebot, das von der Literaturszene Köln kuratiert wird. Schon einige Male haben wir darüber berichtet (die Links gibt es am Ende des Beitrags). Nun folgt ein Beitrag über die Lesung von Joachim Geil.
***

Das war wohl die bislang heißeste Lesung im Rahmen des „Nimm Platz“-Programms auf dem Kölner Neumarkt. Die freundliche Warnung des Teams vorneweg: „Bevor jemand ohnmächtig wird – bitte, wir haben Wasser in unserem Kiosk!“ Ohnmächtig wurde niemand. Aber einige Platzwechsel gab es schon, um während des Auftritts von Joachim Geil im Schatten bleiben zu können.
„Liebe Schattengesellschaft“
Denn zum einen scheint die spätnachmittägliche Sonne in die eine Hälfte des Gelben Pavillons, und zum anderen neigt sie zum tückischen Wandern. Der Autor verrückt eigens den Lesetisch in eine Schrägstellung, so dass er sein Publikum im Blick behalten kann. Dieses begrüßt er mit angemessenen Worten: „Liebe Schattengesellschaft!“
Der Roman „Heimaturlaub“ (Steidl), den er mitgebracht hat, ist bereits 2010 erschienen. Dieses Debüt habe die Presse, sagt Joachim Geil, als Antikriegs-Roman aufgenommen. Seinerzeit wurde in Afghanistan gekämpft. Mittlerweile sei ein anderer Krieg näher gerückt. Und so passt es durchaus in die Zeit, die Geschichte des Leutnants Dieter Thomas zu erzählen, der im Juli 1944 in die noch vergleichsweise friedliche Pfalz reist, um seinen Heimaturlaub anzutreten. Übrigens – auch in jenem Sommer war es heiß und schwül. Worum es im Roman geht, worum es in der Gegenwart geht: Tod, Zerstörung, Traumatisierung.

„Überzogen wie Kulenkampff“
Anschließend – „wir haben schon überzogen wie Kulenkampff!“ – liest Joachim Geil noch eine Passage aus einem neuen Manuskript. Das trägt den Arbeitstitel: „Erst kommen die Christbäume“. Wer dabei an Weihnachten denkt, liegt komplett daneben. Wir treffen auf das nämliche Personal wie in „Heimaturlaub“, allerdings ein halbes Jahr später: In der Pfalz geht es nicht mehr friedlich zu, die Familie musste ihre Heimat verlassen – und Dieter ist an der Ostfront gefallen.
Immerhin: Als Toter erzählt er weiter. Dieter halte diesen Zustand zwar nicht für befriedigend, sagt sein Autor, doch immerhin könne er nun in die Köpfe der anderen hineinsehen und auf den Zeitebenen herumspringen. Und weil es in diesem Manuskript wieder um Krieg geht, wird gewiss der eine oder die andere demnächst beim Erscheinen des Romans vermerken, dass es sich um einen Antikriegsroman handele.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir schon vielfach über die Lesungen im Rahmen von „Nimm Platz“ berichtet. Das ist die Übersicht:
Vorbericht (HIER), Eröffnung und Lesung Ulrike Anna Bleier (HIER), Lesungen von Julius Metzger, Claus Daniel Herrmann, André Patten, Jan Schillmöller und Sehnaz Dost (HIER), Lesungen von Maren Gottschalk, Georg Smirnov, Anke Glasmacher und Thea Mantwill (HIER); Lesungen von Thomas Empl und Wolfgang Schiffer (HIER); Lesungen von Johanna Dombois und Angela Steidele (HIER); die Lesung von Jennifer de Negri (HIER).
Die Bilanz, die Autorinnen und Autoren – darunter Joachim Geil – bei der Premiere von „Nimm Platz“ im Jahr 2023 gezogen haben, gibt es HIER.
Überzogen wie Kulenkampff. Ich bin so alt, dass ich das zumindest noch in Ansätzen erlebt habe… Gottschalk war da ähnlich. Danke für den Hinweis auf Geils Roman.
LikeGefällt 1 Person