„Nimm Platz“ auf dem Kölner Neumarkt: Ulrike Anna Bleier mit Notaten aus der Türkei im Jahr des großen Erdbebens

Ulrike Anna Bleier vor dem gelben Pavillon auf dem Kölner Neumarkt Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Lies doch mal aus Deinem anderen Buch“, regte ein Besucher der jüngsten Lesung der Kulturreihe „Nimm Platz“ an. Doch Ulrike Anna Bleier, von der zuletzt der Roman „Spukhafte Fernwirkung“ erschienen ist, ließ sich nicht beirren. „Nix da!“, erwiderte sie dem Mann, der daraufhin die Kappe richtete, zwei Beutel packte und ein paar Meter weiterzog. Sehr zurecht blieb die Autorin bei dem Programm, das sie sich für den „Kölner Literatursommer“ vorgenommen hatte, der noch bis Anfang September Tag für Tag auf dem Kölner Neumarkt zu erleben ist.

Sinnfrage in Zeiten der Katastrophe

Also las Ulrike Anna Bleier im gelben Pavillon aus den Aufzeichnungen, die sie 2023 während ihres Aufenthalts im Atelier Galata in Istanbul gemacht hatte. Eine schöne Initiative ist dieses Residenzstipendium, das die Kunststiftung NRW ausschreibt. Allerdings war Ulrike Anna Bleier in der Metropole zu Besuch, als die Türkei und das benachbarte Syrien von einem sehr schweren Erdbeben heimgesucht wurde. Zehntausende Menschen kamen dabei ums Leben. Es war das dominante, das erschütternde, das alles lähmende Ereignis.

Die Autorin selbst wird von der bedrückende Atmosphäre erfasst: „Jeden Tag frage ich mich“, notiert sie, „ob es irgendeinen Sinn hat, dass ich hier bin.“ Und später: „Ich schreibe seit Tagen nichts, wofür ich eigentlich hier bin, zum Schreiben, aber worüber soll ich schreiben.“ Natürlich schreibt sie über ein durchaus spannendes Thema: das Nichtschreibenkönnen in Zeiten der Katastrophe. Aber auch die Anmerkungen zu Katzen und Krankenwagen, denen sie ihre Aufmerksamkeit schenkt, sind farbintensive Mosaiksteine. Dass sie es bei diesen belassen will, sagte sie dem Publikum auf dem Neumarkt hinter vorgehaltener Hand. Ein großes Mosaik, also ein Buch, werde daraus wohl nicht mehr werden.

Ulrike Anna Bleier im gelben Pavillon auf dem Kölner Neumarkt Foto: Bücheratlas / M. Oe.

„Eines der größten Sorgenkinder“

„Nimm Platz“ ist ein kostenloses und spartenreiches Kulturprogramm. Zum einen ist es ein Schaufenster der Kölner Kulturszene. Zum anderen soll das Angebot dazu beitragen, den Neumarkt als Verweilort attraktiv zu machen. Bei dem Platz handele es sich, wie Oberbürgermeisterin Henriette Reker zur Eröffnung sagte, um „eines der größten Sorgenkinder“ der Stadt. Und die sommerliche Kulturoffensives gehöre „zu einem Mix aus Maßnahmen, um den Neumarkt zu einem besseren Platz zu machen“.

Eine Herausforderung ist der Neumarkt auch als Lesungsort. Denn akustisch wird einiges im Hintergrund geboten. Nicht nur Sirenen sorgen für Akzente. Auch ein Hund, der beharrlich den benachbarten Springbrunnen anbellt, während sich sein Halter daran erfreut, kann eine gewisse Penetranz entwickeln. Ulrike Anna Bleier schien das alles ausblenden zu können. Ihr Motto: „Nix da!“

Martin Oehlen

Das gesamte Literaturprogramm

der Reihe „Nimm Platz“, die auch Musik und Film und Gespräche anbietet, haben wir HIER aufgeführt.

Auf diesem Blog

haben wir die Initiative „Nimm Platz“ HIER vorgestellt.

Auch kommt Ulrike Anna Bleier auf dem Bücheratlas schon einige Male vor – so mit ihrem Roman „Spukhafte Fernwirkung“ (HIER) und mit ihrem Beitrag zur Anthologie „Die Backstage eines Buches“ (HIER).

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