Der Kaiser, der sich Gedanken machte: Trierer Ausstellung würdigt Marc Aurel, dessen „Lebensbetrachtungen“ ein Longseller sind

Marc Aurel (rechts) als Kronprinz. Neben ihm Lucius Verus, der ebenfalls Kronprinz war und eine Zeitlang gemeinsam mit Marc Aurel regierte. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Marc Aurel (121–180) kam nie bis Trier. Doch immerhin wurde zur Amtszeit des römischen Kaisers in der antiken Augusta Treverorum mit dem Bau der Porta Nigra begonnen, des noch heute beeindruckenden Stadttores. Nun wird der Herrscher in Trier in einer Doppelausstellung präsentiert: „Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph“ lautet der Titel im Rheinischen Landesmuseum, „Marc Aurel – Was ist gute Herrschaft?“ im Stadtmuseum Simeonstift. Insgesamt sind über 400 Exponate von 117 Leihgebern zu sehen. Die Veranstalter versichern, dass es sich – Achtung, ein Tusch! – um die bislang größte Ausstellung zu Marc Aurel handele.

Das ist erstaunlich. Denn die Voraussetzung für eine Nahaufnahme ist günstig. Die schriftliche Überlieferung, heißt es, sei angeblich so reich wie bei keinem anderen römischen Herrscher. „Jedenfalls weiß man über seine Person und sein Leben in vielerlei Hinsicht mehr und es ist bemerkenswerter als jenes seiner Vorgänger und Nachfolger“, sagt Marcus Reuter, der Direktor des Rheinischen Landesmuseums.

Besucher können im Landesmuseum auf 1000 Quadratmetern und im Stadtmuseum auf 600 Quadratmetern flanieren. Foto: Bücheratlas / M.Oe.

Feldherr und Philosoph

Zu Lebzeiten wurde Marc Aurel als „guter“ Herrscher gepriesen, der das Gemeinwohl und die Gerechtigkeit achtete. Hohes Pflichtbewusstsein zeichnete ihn aus. Zudem zeigte er als Feldherr jene Härte, die dem Geist der Zeit entsprach. Doch damit nicht genug der Anreize, sich diesem Herrscher zu nähern.

Auch hat Marc Aurel seit dem Mittelalter, als seine privaten Aufzeichnungen entdeckt und erstmals veröffentlicht wurden, einen Ruf als Philosophenkaiser. Mit seinen „Lebensbetrachtungen“ gilt er als Vertreter der Stoa, einer von Seneca und Epiktet geprägten philosophischen Schule, die auf Gelassenheit und Demut setzte.

„Zeitenwende“ in Rom

Im Stadtmuseum Simeonstift ist ein Fragment der „Lebensbetrachtungen“ aus dem 15. Jahrhundert zu sehen. Dieses „Folium Treverense“ wurde 1978 in dem Moseldorf Löf entdeckt, rund 100 Kilometer östlich von Trier. Mutmaßlich diente der griechische Text als Vorlage für eine Übersetzung ins Lateinische. Hingegen ist das ausgestellte Exemplar, das der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zur Konfirmation geschenkt bekommen hatte, deutlich jüngeren Datums. Und noch heute ist der Longseller in unterschiedlichen Ausgaben lieferbar.

Direktor Marcus Reuter weist im lesenswerten und leicht lesbaren Begleitband seines Hauses darauf hin, dass die in den „Selbstbetrachtungen“ formulierten Grundsätze das Handeln des Kaisers „nur bedingt“ widerspiegeln. Den Krisen der Zeit konnte er nicht mit Aphorismen begegnen. Dazu zählten die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Parthern und Markomannen. Die damit verbundene Aufrüstung wird von den Ausstellungsmachern, die sich über die vielen aktuellen Bezüge freuen, mit dem uns vertrauten Etikett „Zeitenwende“ versehen. Weiter forderte die legendäre „Antoninische Pest“ – nach jüngsten Erkenntnissen wohl doch keine Pandemie à la Corona, sondern eine Reihe unterschiedlicher Epidemien – entschiedenes Handeln.

„Demokratie unter Druck“

Marc Aurel war sicher kein „guter“ Herrscher nach heutigem Verständnis. Zwar ging die Christenverfolgung in Lyon (Lugdunum) im Sommer des Jahres 177 nicht auf seinen direkten Befehl zurück. Doch hatte er ein Klima geschaffen, das brutalste Übergriffe auf Andersgläubige ermöglichte. „Die römischen Bürger unter den Bekennern wurden enthauptet, die übrigen den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen“, schreibt Cornelius Motschmann. Nach Angaben des Kirchenvaters Eusebius waren im römischen Reich insgesamt „zehntausende von Märtyrern“ zu beklagen; für Lyon geht Motschmann allerdings „nur“ von 48 Opfern aus.  

Was also ist eine „gute Herrschaft“? Im Stadtmuseum wird diese immer aktuelle Frage ein ums andere Mal gestellt. Dabei verharrt man nicht in der Antike, sondern treibt den Zeitstrahl bis in unsere Gegenwart. „Die parlamentarische Demokratie westlicher Prägung gerät unter Druck – von außen wie von innen“, schreibt Beatrix Bouvier, eine der Kuratorinnen, im Katalog. Die Macht der Bilder sei groß „und die Kontrolle darüber entscheidet mit, was unter guter Regierung verstanden wird.“ Tatsächlich scheint da und dort das Bewusstsein zu schwinden, welch ein Glück es ist, in einer Demokratie zu leben – und nicht in einer Autokratie, einer Diktatur oder einem Terrorstaat. Auch unter diesem Aspekt lohnt sich ein Besuch im Simeonstift.

Das Volk und die Herrschenden – das ist Thema dieses Gemäldes aus dem Danziger Ratssaal, das Hans Vredeman de Vries Ende des 16. Jahrhunderts gemalt hat. Es zeigt auf der linken Seite die Personifikation der Gerechtigkeit und auf der rechten die der Ungerechtigkeit. Beide werden von jeweils sechs Schöffen flankiert, die zum einen ihre Hände verstecken und sie zum anderen offen zeigen, um Bestechungsgaben in Empfang zu nehmen. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

„Zentrum der Antike“

Trier will sich weiter als „Zentrum der Antike“ profilieren. Das wird das Stadtmarketing freuen. Nicht nur setzt die Ausstellung „Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph“ eine Reihe fort, in der schon Konstantin (2007), Nero (2016) und der „Untergang des Römischen Reiches“ (2022) zu sehen waren. Schon heißt es, dass bereits die nächste Exkursion in die Antike angepeilt wird – möglicherweise eine, die sich der Entstehung von Imperien widmet. Doch erst einmal lohnt es sich, zu Marc Aurel zu reisen. Der kam in seinen 59 Lebensjahren, wir sagten es schon, zwar nie persönlich nach Trier. Doch nun ist er dort derart intensiv präsent, als wäre er nie woanders gewesen.

So widerlegt sein Nachleben, was er selbst in den „Selbstbetrachtungen“ behauptet: „Nahe ist die Zeit, wo du alles vergessen hast, nahe ist die Zeit, wo alle dich vergessen haben.“

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir die Trierer Ausstellung zum „Untergang des Römischen Reiches“ HIER besprochen. Es handelt sich um die Ausstellung zur Antike, die der Marc-Aurel-Ausstellung vorangegangen ist.  

Die Ausstellung

zu Marc Aurel in Trier, bei der es sich um eine rheinland-pfälzische Landesausstellung handelt, läuft bis zum 23. November 2025, Di. – So. 10 – 18 Uhr.

Sie findet an zwei Standorten statt:

„Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph“ im Rheinischen Landesmuseum Trier, Weimarer Allee 1;

„Marc Aurel – Was ist gute Herrschaft?“ im Stadtmuseum Simeonstift Trier, Simeonstraße 60 (gleich neben der Porta Nigra).

Eintritt

Kombiticket für beide Ausstellungen pro einem Erwachsenen: 22 Euro. Zudem gibt es Familientickets und Reduzierungen.

Zwei Begleitbände

werden angeboten. Der zur Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum hat 400 Seiten und kostet 40 Euro (Verlag wbg Theiss), der zur Ausstellung im Stadtmuseum Simeonstift hat 200 Seiten und kostet 19,90 Euro (Selbstverlag des Stadtmuseums).

Ein Gedanke zu “Der Kaiser, der sich Gedanken machte: Trierer Ausstellung würdigt Marc Aurel, dessen „Lebensbetrachtungen“ ein Longseller sind

  1. Pingback: Meine Woche | Binge Reading & More

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..