„Diese durchgeknallte Idee durchgezogen“: Ulrike Anna Bleier und Ulrich Peltzer sprechen im Literaturhaus Köln über „Die Backstage eines Buches“

Ulrike Anna Bleier und Ulrich Peltzer denken übers Schreiben nach. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Das kann nur ein schöner Zufall gewesen sein. Es war also keinesfalls eine vorbereitete Pointe, als nun im Kölner Literaturhaus die Anthologie „Die Backstage eines Buches“ vorgestellt wurde und die Schriftstellerin Ulrike Anna Bleier gleich zu Beginn um eine kurze Unterbrechung bat. Sie müsse noch einmal in den Backstage-Bereich, sagte sie, weil sie dort ihre Lesebrille vergessen habe. Moderator Wolfgang Schiffer schaute etwas ungläubig drein, während Schriftsteller Ulrich Peltzer als Dritter im Bunde seine Coolness wahrte. Und schon nach 45 Sekunden saß die Autorin wieder auf dem Podium. Mit der Lesebrille in Griffnähe. Sehr schön.

„Schreib nicht über Orte, wo du nie gewesen bist“

Die Beiträge von 21 Autorinnen und Autoren versammelt der Band „Die Backstage eines Buches“, den Dincer Gücyeter und Wolfgang Schiffer im Elif Verlag herausgegeben haben. Sie behandeln an einem jeweils konkreten Titel, wie ein Buch entsteht. Welche Zweifel, Umwege oder Abstürze damit verbunden sind – und welches Glück des Gelingens. Ausführlich haben wir den Band auf diesem Blog HIER vorgestellt.

Zwei der attraktivsten Beiträge darin stammen von Ulrike Anna Bleier und Ulrich Peltzer. Ihr jeweiliger Schreibansatz ist durchaus unterschiedlich. Ulrike Anna Bleier, die sich in ihrem zufallsreichen Roman „Spukhafte Fernwirkung“ unter anderem der Quantenphysik widmet, meint: „Ich schreibe am liebsten über Dinge, von denen ich keine Ahnung habe.“ Hingegen bekennt Ulrich Peltzer, bei der Arbeit an seinem Roman „Das bessere Leben“ die Erfahrung gemacht zu haben: „Schreib nicht über Orte, wo du nie gewesen bist“. Er tauschte daher den ihm unbekannten Handlungsort Hongkong ein gegen das ihm vertraute Sao Paolo („ein Nadelwald aus Hochhäusern“).

„Hart, aber gerecht“

Im Literaturhaus gewährten die Schreibenden dann noch ein paar Bonus-Einblicke in die jeweilige Schreibwerkstatt. Selbst wenn man von bestimmten Passagen „besessen“ sei, diese aber nicht in den Text passten, sagte Ulrich Peltzer, müsse man sich davon trennen können. Das gelinge ihm heute leichter als früher. Ein strenges Lektorat sei sowieso unverzichtbar. Einmal habe er mit einer Lektorin zusammengearbeitet, die ihm nichts durchgehen ließ, ja, ihn gar – „das ist jetzt gemein“ – an Stalin erinnert habe. Aber natürlich hinkt der Vergleich. Tatsächlich war sie wohl nichts als „hart, aber gerecht“.

Beim Schreiben passiere so vieles, mit dem man nicht gerechnet habe, sagte Ulrike Anna Bleier: „Ich fange beim Buchstaben A an und komme vielleicht bei E heraus – oder bei einem Buchstaben, den ich noch gar nicht gekannt habe.“ Nicht zufällig ist der Zufall ein wichtiger Faktor in ihrem jüngsten Roman. Die schier unendliche Fülle an Geschichten passe nicht schlecht in unsere Social-Media-Zeit, sagte sie, in der wir von einem Posting zum nächsten wischten und dann und wann Zusammenhänge bemerkten. Sie ist jedenfalls „wahnsinnig froh, dass ich diese durchgeknallte Idee durchgezogen habe und dass der Verlag das mitgemacht hat“.

Ihr nächstes Buch werde „etwas ganz anderes“ sein als die „Spukhafte Fernwirkung“. Doch die Quantenphysik komme auch darin vor. Denn von der wisse sie immer noch viel zu wenig. Ihr Leitspruch: „Wenn du überhaupt keine Ahnung hast, hast du auch nichts zu verlieren.“

Wolfgang Schiffer und Monika Rinck bei der Text-Kontrolle. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Monika Rinck findet den Fehler

Schier unendlich sind die Themen, die durch den Backstage-Bereich eines Buches schwirren. Nicht das geringste unter diesen: Wie findet ein Manuskript den Weg zu einem Verlag? Diese Frage wurde aus den Publikumsreihen gestellt. Sie treibt gewiss viele Autorinnen und Autoren um. Wolfgang Schiffer, selbst Lyriker und Übersetzer, versicherte, dass es keinen Königsweg gebe. Er verwies auf Agenturen, Buchmessen oder auch die schlichte Einsendung. Ulrich Peltzer brachte seinerseits noch Literaturzeitschriften ins Spiel, bei denen man einen Einstieg in den Literaturbetrieb wagen könnte.

Ulrich Peltzer war es auch, der den Anthologie-Beitrag von Monika Rinck so lange anpries, bis die Autorin, die als Zuhörerin anwesend war, das Podium erklomm. Während ihrer Mini-Lesung hielt sie plötzlich inne. Moment mal! Denn da hatte sie einen Druckfehler entdeckt, den sie sogleich markierte und dem neben ihr sitzenden Herausgeber Wolfgang Schiffer zeigte. Das war der Moment, in dem aus Backstage plötzlich Onstage wurde. Auch sehr schön.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir die Anthologie „Die Backstage eines Buches“ (Elif Verlag) HIER vorgestellt.

Ulrich Peltzers jüngsten Roman „Der Ernst des Lebens“ haben wir HIER besprochen.

Ein Gespräch mit Ulrike Anna Bleier über ihren Roman „Spukhafte Fernwirkung“ findet sich HIER.

Über Monika Rincks Antrittsvorlesung als Professorin für Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien in Köln haben wir HIER berichtet. Der Titel ihres Vortrags: „Das Gebaute und das Ungebaute – Zufall als Methode“.

Dincer Gücyeter und Wolfgang Schiffer (Hg.): „Die Backstage eines Buches – Wege und Irrwege literarischen Arbeitens“, Elif Verlag, 204 Seiten, 24 Euro.

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