
Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit Albert Lintermann mit schweren Gesichtsverletzungen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist. Seine Ehefrau ist längst verstorben. Und das Eifeldorf Wollseifen, in dem seine Familie seit Generationen zu Hause war, existiert nicht mehr. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg diente es erst den Briten und dann den Belgiern als Truppenübungsplatz. Doch jetzt steht ein Neuanfang an. Im Embken bei Nideggen haben Albert und seine Schwiegertochter Johanna einen Bauernhof gekauft. Mit vereinten Kräften bringen sie das heruntergekommene Gehöft wieder auf Vordermann. Vor allem Johanna hat große Pläne. Aber dann kehrt ihr Ehemann Karl, der Sohn von Albert Lintermann, aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück.
Vom 19. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit
„Schlehengrund“ ist der dritte Teil einer Roman-Triloge von Anna-Maria Caspari. Die Autorin, in Köln geboren und in Erftstadt zu Hause, setzt mit ihrer Familiensaga der Eifel und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern ein beeindruckendes Denkmal. Mehr als ein Jahrhundert begleitet sie die Mitglieder der Familie Lintermann, die in Wollseifen einen bescheidenen Bauernhof bewirtschaftet.
Eindringlich schildert sie in „Perlenbach“ die harten Lebensbedingungen der Menschen im 19. Jahrhundert. „Ginsterhöhe“ umfasst die Zeitspanne zwischen dem Ende des Ersten und dem des Zweiten Weltkriegs: Die Nationalsozialisten sind an der Macht, in der Nähe von Wollseifen entsteht die Ordensburg Vogelsang und auch in der Eifel muss die jüdische Bevölkerung um ihr Leben bangen.
Karls schwierige Heimkehr
Nach dem Krieg, so lesen wir es jetzt in „Schlehengrund“, haben die Nazis noch vielerorts das Sagen. In Embken, der neuen Heimat der Familie Lintermann, werden die Grabmäler auf dem jüdischen Friedhof geschändet. Ein Holocaust-Überlebender wird zusammengeschlagen und stirbt an den Folgen des Überfalls. Geschickt bettet Anna-Maria Caspari die Haupthandlung in zeitgeschichtliche Ereignisse ein, und so liest sich „Schlehengrund“ wie eine Zeitreise durch die 1950er und 1960er Jahre.
Karl, der Ehemann von Johanna, ist einer der letzten Kriegsgefangenen, die durch die Vermittlung des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer nach Deutschland heimkehren. Überzeugend schildert Anna-Maria Caspari die Schwierigkeiten des traumatisierten Mannes, sich wieder einzuleben in einem Land, das ihm fremd geworden ist.
Gut erzählt, hervorragend recherchiert
Johanna wiederum tut sich schwer, Verantwortung abzugeben und sich wie vor dem Krieg auf die Rolle der Hausfrau und Mutter zu beschränken. Das Ehepaar, soviel sei verraten, wird nicht wieder zusammenfinden – ein Schicksal, das exemplarisch für eine kriegsversehrte und zutiefst verwundete Generation steht.
Der Roman „Schlehengrund“, mit dem die Trilogie endet, ist nicht nur gut erzählt. Es ist, wie schon die beiden Vorgängerbände, hervorragend recherchiert. Anna-Maria Caspari gelingt es, die unmittelbare Nachkriegszeit so lebendig wieder auferstehen zu lassen, dass man meint, sie selbst mitzuerleben.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog
haben wir von Anna-Maria Caspari bislang die Romane „Ginsterhöhe“ (HIER) aus dem Jahr 2022 und „Perlenbach“ (HIER) aus dem Jahr 2023 besprochen.
Anna-Maria Caspari: „Schlehengrund“, Ullstein, 368 Euro, 16,99 Euro. E-Book: 13,99 Euro.
