
Elisa Hoven ist vom Fach. Das ist schon mal gut. Denn ihr Roman „Dunkle Momente“ schildert die Arbeit einer Strafverteidigerin. Dabei stellt sich schnell heraus, dass Rechtsprechung eine heikle Angelegenheit ist. Was ist gerecht und was ist rechtens? Zur Beurteilung braucht es Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen. Glücklicherweise darf man beides bei Elisa Hoven voraussetzen, die Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin am Sächsischen Verfassungsgerichtshof ist. Spektakuläre Justizfälle hat sie bereits vor zwei Jahren zusammen mit Thomas Weigend in dem Sachbuch „Strafsachen – Ist unser recht wirklich gerecht?“ (DuMont) verhandelt. Nun gibt es eine fiktive Variante.
Ausgefuchste Strafverteidigerin
Wo es um Schuld und Sühne geht, das ist die Botschaft ihres Romans, lohnt sich immer ein zweiter Blick auf das Geschehen. Keine Geschichte geht hier einen geraden Weg. Immerzu gibt es einen fatalen Twist, der das Geschehen in ein völlig neues Licht taucht.
Eva Herbergen, aus deren Ich-Perspektive zumeist erzählt wird, ist eine ausgezeichnete Strafverteidigerin. Sie kennt nicht nur das Gesetz, sondern auch die Menschen. Zudem ist sie mit ein paar Tricks vertraut, die nicht im Jurastudium gelehrt werden. Schließlich neigt sie zu übergriffigem Handeln. Aber solange es den Opfern dient, möchte man meinen, geht das mit rechten Dingen zu.
„Schwarze Kasse“
Ein besonderer Fall ist die Schmiergeldaffäre des Stefan Heinrich! Besonders deshalb, weil das Verfahren den Roman grundiert. Denn hier macht Eva Herbergen einen folgenschweren Fehler. Sie hat einen Paragraphen im Gesetzbuch nicht hinreichend gewürdigt. So wird ihr Mandant nicht wegen Auslandsbestechung verurteilt, worauf die Anklage zunächst zielte, wohl aber wegen Veruntreuung von Firmengeld (das freilich in einer „schwarzen Kasse“ bereitlag).
Man könnte der Anwältin mildernde Umstände attestieren, denn sie ist zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Hochzeitsplanung befasst: Sie heiratet den Literatur-Professor Peter, der ihr ein guter Ratgeber ist. Doch der Fehler im Fall Heinrich beschämt sie – auch deshalb, weil der Angeklagte nach seiner Verurteilung zum Äußersten entschlossen ist.
Das dickste Ding
Bis der Roman an dieses Ende gelangt, werden acht weitere Fälle geschildert. Das Spektrum reicht vom Kindersoldaten bis zum Kannibalen, von der Gruppenvergewaltigung bis zum Tod eines Kindes durch Salz im Pudding. Dabei muss Eva Herbergen zur Kenntnis nehmen, dass nicht jeder Freispruch, den sie erwirkt, ein Segen ist.
Mal ist der Freigesprochene tatsächlich der Mörder, mal kommt ein Unschuldiger ins Gefängnis, mal ist die Freigesprochene in Wahrheit erpicht darauf, eine Strafe abzusitzen. Das dickste Ding: Eva Herbergen hilft einer befreundeten Bestsellerautorin (und späteren Familienministerin auf Landesebene), eine Leiche verschwinden zu lassen und einen Mord zu vertuschen.
Das Unmenschliche im Menschen
In allen Fällen sind Herleitung und Beweisführung spannend und überraschend. Da bräuchte es gar nicht die Meta-Ebene, auf der Eva Herbergen eher schlichte Einsichten in den Mund gelegt werden: „Eine Sache, die mich an Verbrechen fasziniert, ist ihre Tragweite.“ Oder so: „Manchmal macht es mir Angst, wie viel Unmenschliches in uns Menschen steckt.“ Und einmal missglückt Elisa Hoven – im Jahre 2022 Erstunterzeichnerin eines „Emma“-Appels, keine „schweren Waffen“ an die Ukraine zu liefern – ein Ausflug in die Tagespolitik. Da prangert ihre Protagonistin „die verstörende Begeisterung für einen Krieg in Europa“ an. Nur – wo gibt es diese Begeisterung?
Aber konzentrieren wir uns auf das Positive. Denn das dominiert eindeutig. Eindrucksvoll reiht sich der Roman „Dunkle Momente“ ein ins boomende Genre des „True Crime“. Elisa Hoven hat sich, wie sie sagt, von echten Fällen inspirieren lassen – und spinnt diese effektvoll weiter. Die Mischung aus Recht und Moral, Tat und Aufklärung bietet faszinierende Unterhaltung. Kein Einspruch möglich.
Martin Oehlen
Lesungen
mit Elisa Hoven am 6. Mai im Buchhändlerkeller Berlin und am 26. Mai im Literaturhaus Frankfurt/M.
Elisa Hoven: „Dunkle Momente“, S. Fischer, 336 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
