
Wird Charlotte Rath es schaffen, das Kind ihres ehemaligen Pflegesohns vor den Nazis zu retten? Wie geht es weiter mit Fritze, dem Hitlerjungen, der eine junge Jüdin liebte? Und was geschieht mit Gereon Rath, diesem abgründigen, von Zweifeln gequälten Menschen, auf dessen Seele weit mehr lastet als die Erinnerung an eine verpfuschte Kindheit? Fragen, die ohne Antwort bleiben müssen. Denn „Rath“ ist definitiv der letzte Band der wohl erfolgreichsten historischen Krimireihe der letzten Jahre.
Aus den USA zurück nach Köln
Mehr als 600 Seiten braucht Volker Kutscher im zehnten Band der Serie, um zu Ende zu bringen, was 2008 mit „Der nasse Fisch“ begann. Also die Geschichte des Kriminalkommissars Gereon Rath, den es im „Blutmai“ 1929 aus seiner Heimatstadt Köln nach Berlin verschlägt. Inzwischen schreibt man das Jahr 1938. Am 9. November werden entfesselte Schlägerbanden im ganzen Deutschen Reich Synagogen und jüdische Geschäfte zerstören. Österreich ist „eingegliedert“, das Sudetenland „abgetreten“.
Gereon Rath gilt offiziell als tot und lebt unter falschem Namen in den USA. Als sein Vater einen Schlaganfall erleidet, kehrt er zurück nach Köln. Doch aus dem geplanten Kurztrip – man erwartet den baldigen Tod von Engelbert Rath – wird dank der robusten Gesundheit des alten Herrn ein gefährlicher Langzeitaufenthalt. Denn nicht jeder glaubt an Gereon Raths Tod, und schon bald gerät Ehefrau Charly unter Druck. Sie soll als Köder dienen, um den angeblich Toten aus der Reserve zu locken.
Der Terror der Nazis
Dann sind da noch zwei tote Hitlerjungen, die der ehemalige Pflegesohn der Raths ermordet haben soll. Jetzt ist Fritze auf der Flucht Richtung Polen, was im Oktober 1938 keine gute Idee ist. Ende des Monats werden im Zuge der sogenannten Polenaktion tausende Jüdinnen und Juden an die polnische Grenze abgeschoben, und Fritze muss umkehren. Heim ins Reich. Heim in die Fänge der Gestapo.
Volker Kutscher schildert ein Land, das unaufhaltsam dem Abgrund entgegenstürzt. Die Lage der jüdischen Bevölkerung wird mit jedem Tag bedrohlicher. SS und Gestapo gehen mit brutaler Gewalt gegen sogenannte Volksverräter vor, und die Arbeits- und Konzentrationslager füllen sich mit politisch Andersdenkenden. Auch Charly Rath verbringt einige Wochen in einem KZ, ohne zu wissen, was man ihr vorwirft.
Das Abgründige im Menschen
Wie schon in den Vorgängerbänden punktet Volker Kutscher auch in diesem letzten Band mit einer exzellenten Recherche. Er entwirft ein Sittenbild der damaligen Zeit, das so düster und dabei zugleich aufrüttelnd lebendig ist, dass man sich mittendrin wähnt im schrecklichen Geschehen. Seine Rath-Reihe, unter dem Titel „Babylon Berlin“ in Teilen verfilmt, ist eine Geschichtslektion vom Feinsten, verpackt in spannende Kriminalfälle über das Abgründige im Menschen.
Eigentlich habe er nur acht Bände schreiben wollen, sagte Volker Kutscher im Gespräch mit der Rezensentin vor einigen Jahren. Jetzt sind zehn daraus geworden. Und noch immer möchte man mehr lesen. Denn es gibt da einige Fragen – siehe oben. Schade, dass sie unbeantwortet bleiben werden.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog
haben wir über „Der nasse Fisch“, den ersten Band der Gereon-Rath-Reihe, im vergangenen Jahr HIER berichtet, als es das „Buch für die Stadt“ in Köln war.
Außerdem findet sich auf diesem Blog eine Besprechung von „Marlow“, dem siebten Band, genau HIER.
Lesungen
mit Volker Kutscher gibt es im Filmpalast in Lüneburg (19. 11. 2024), im NS-Dokumentationszentrum in München (27. 11. 2024) und in Aachen in der Buchhandlung am Markt (15. 1. 2025).
Volker Kutscher: „Rath“, Piper, 624 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
