„Die Universität zu Köln im Nationalsozialismus“: Hans-Peter Ullmanns große Untersuchung über eine Hochschule, die das NS-Regime „vom Anfang bis zum Ende mitgetragen“ hat

Albertus Magnus vor dem Hauptgebäude der Universität zu Köln. Gerhard Marcks schuf dieses Denkmal im Jahre 1954. Albertus Magnus war 1248 Leiter des Studiums Generale an der Kölner Klosterschule des Dominikanerordens. Foto: Bücheratlas / M.Oe.

Es ist nur eine Legende. Die Auffassung, dass die Universität zu Köln nicht wesentlich vom Nationalsozialismus erfasst worden sei, erblühte in der Nachkriegszeit. Josef Kroll, der 1930 und 1931 und dann von 1945 bis 1950 Rektor der Universität gewesen ist, behauptete noch 1967, dass „die weltoffene Gegend des Rheinlands“ dem NS-Geist widerstanden habe. Andere stimmten in diesen Tenor ein oder variierten ihn lediglich.

Nun stellt Hans-Peter Ullmann in seiner großen Untersuchung fest, dass die Kölner Hochschule „in der Tat weniger stark nazifiziert als etliche andere“ gewesen sei. Gleichwohl habe sie sich „in das NS-Regime eingefügt und dieses vom Anfang bis zum Ende mitgetragen“. Wesentliche Teile der Hochschule hätten sich „auf den Nationalsozialismus eingelassen, der Vertreibung jüdischer und politisch missliebiger Hochschullehrer nicht widersprochen und sich in unterschiedlichem Maß für das NS-Regime sowie dessen Angriffskrieg selbst mobilisiert.“

Fluch und Segen der Neugründung

Der renommierte Historiker, der selbst von 1999 bis 2017 an der Kölner Universität gelehrt hat, legt eine vor Fakten nahezu berstende Untersuchung vor. Es scheint so, als werde hier tatsächlich jeder Stein umgedreht. Seine Untersuchung beginnt mit der Neugründung der Universität nach dem Ersten Weltkrieg und endet mit der Umwandlung in eine nordrhein-westfälische Landesuniversität nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ohne die Initiative der Stadt Köln und ihres Oberbürgermeister Konrad Adenauer wäre die Universität 1919, „in den Wirren der Revolution“, nicht neu gegründet worden, heißt es. Die alte, 1388 eingeweihte Universität war ja während der französischen Besatzung im Jahre 1798 aufgehoben worden. Die städtische Neugründung war ein Sonderfall in der deutschen Hochschullandschaft. Die enge Verflechtung mit der Kommune sei Fluch und Segen zugleich gewesen, meint Hans-Peter Ullmann. „Auf Gedeih und Verderb“ war die Universität abhängig von den finanziellen Zuwendungen und damit vom politischen Wohlwollen der Kommune.

Massive „Säuberungen“ ab April 1933

Was das bedeutete, zeigte sich auf eklatante Weise, als die Nazis im Jahre 1933 die Macht im Land und in der Stadt übernahmen. Zwar protestierte Rektor Godehard Ebers, als der Nationalsozialistische Deutsche Studentenverband nach der Reichstagswahl vor dem Hauptgebäude die Hakenkreuzflagge gehisst hatte. Doch zugleich räumte er ein, sich der Gewalt zu fügen.

„Noch im April 1933 setzten an der Köln Universität wie an den anderen Hochschulen massive Säuberungen ein.“ Diese zielten auf die jüdischen und politisch missliebigen Studierenden und Hochschullehrer. Dabei befleißigte sich die Universitätsleitung einer „vorauseilende(n) Politik gegen jüdische Studierende“. „Hatten im Winter 1932/33 noch 204 Juden in Köln studiert, waren es ein Jahr später nur mehr 33.“ Nach dem Pogrom des Jahres 1938 stellte Rektor Otto Kuhn im Senat „befriedigt“ fest, dass sich an der Universität Köln keine jüdischen Studierende mehr befänden.

Solidarität nur in Ausnahmefällen

Die „Säuberungen“ unter den Hochschullehrern fanden in drei Phasen statt, die ausführlich dargelegt werden, beginnend mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Auf dieser Grundlage konnten Beamte von „nicht-arischer Abstammung“ oder von zweifelhafter, also nicht eindeutig nationalsozialistischer Gesinnung in den Ruhestand versetzt werden.

Dazu werden eklatante Fallbeispiele angeführt. So wurde der Althistoriker Johannes Hasebroek denunziert, weil er sich geweigert hatte, für das Winterhilfswerk zu spenden; er wurde daraufhin wegen „dauernder Arbeitsunfähigkeit infolge körperlicher Gebrechen“ in den Ruhestand versetzt. In dem einen oder anderen Fall gab es Widerspruch beziehungsweise Fürsprache. „Doch die Fälle, in denen sich Kollegen für die Entlassenen einsetzten, blieben Ausnahmen.“

„Kriegschirurgie“ bei den Medizinern

Auch Forschung und Lehre wurden dem neuen Geist angepasst. Dieser wurde bei einem Festakt der Universität im Jahre 1938 in der Deutzer Messehalle beschworen. Reichsminister Bernhard Rust sagte dort, es sei Aufgabe der Kölner Institution, als „Grenzpunkt weltanschaulicher Kämpfe im Westen“ für die „Idee der Rasse“ einzutreten.

Schon 1935 wurde in Köln ein Institut für Wehrwissenschaften und Wehrpolitik eingerichtet. Später kümmerte sich eine „Zentralstelle wehrwissenschaftlicher Arbeitsgemeinschaften der Universität Köln“ darum, alle einschlägigen Arbeiten zu vernetzen und zu kontrollieren. Das Lehrangebot setzte sehr spezifische Akzente. An der WiSo-Fakultät wurde eine Vorlesung zum Thema „Die deutsche Kriegswirtschaft“ angeboten. Die Mediziner widmeten sich der „Wehrphysiologie“, der „Wehrchemie“, der „Wehrhygiene“ oder der „Kriegschirurgie“. Und an der Philosophischen Fakultät wurden „Übungen zur Geschichte der Ausweitung und Dynamik des deutschen Lebensraumes“ abgehalten.

Kontinuität bei den Lehrkräften

Hans-Peter Ullmann ist um ein differenziertes Bild bemüht. Was denn sonst! Die „Selbstmobilisierung“ des Lehrkörpers, sagt er, sei nicht durchweg festzustellen.  Es habe auch Ordinarien gegeben, die zwar keine „offene(n) Regimegegner“ gewesen seien, aber sich mehr oder minder erfolgreich um Abstand zum Nationalsozialismus bemüht hätten. „So fiel es etwa Professoren der Altertumswissenschaften an der Philosophischen Fakultät leichter als manchen ihrer Kollegen, sich dem Anpassungsdruck zu entziehen, der vom Regime ausging.“

Die Entnazifizierung „unterbrach die Kontinuität des vor 1945 formierten Lehrkörpers nicht entscheidend“. Von den 65 Ordinarien des Wintersemesters 1944/1945 waren sechs Jahre später noch 41 im Dienst. Der Autor führt die gängigen Argumente auf, um die Mitarbeit im „Dritten Reich“ kleinzureden und „die Entnazifizierung ins Leere laufen zu lassen.“  

Kein Sonderfall am Rhein

Die Kölner Universität war seit 1933 immer mal wieder in Gefahr gewesen, geschlossen zu werden. Das lag zumal an der „Aversion führender Nationalsozialisten gegen Großstadtuniversitäten“. Schwere Bombenschäden sorgten 1944 dafür, dass der Lehrbetrieb eingestellt werden musste. Teile der Hochschule wurden an die Universität Marburg ausgelagert.

Akribisch leuchtet Hans-Peter Ullmann (und mit ihm eine Schar akademischer Hilfskräfte) alle Winkel der Universität aus. Vieles erfährt man in diesem Buch über die Hochschule vor und unmittelbar nach der NS-Zeit. Doch das kraftstrotzende Zentrum ist der Zugriff der Nazis auf die Hochschule in den Jahren 1933 bis 1945. In aller Klarheit wird herausgestellt: Die Universität zu Köln im Nationalsozialismus war alles andere als ein rühmenswerter Sonderfall.

Martin Oehlen

Hans-Peter Ullmann: „Die Universität zu Köln im Nationalsozialismus – Wege einer städtischen Hochschulgründung zwischen später Weimarer Republik und früher Bundesrepublik“, Wallstein Verlag, 508 Seiten, 34 Euro. E-Book: 33,99 Euro.

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