Danzig ist wie der Bernstein, für den die Stadt berühmt ist: Herzwärmend die Farben, staunenswert die darin eingeschlossenen Zeugnisse der Vergangenheit. Eindrücke von unserem Besuch in Gdansk, wie Danzig auf Polnisch heißt, gibt es in drei Beiträgen. Los geht’s mit einem Schnelldurchlauf durch die Historie, einem Gang durch die Rechtstadt und Adressen für Speis und Trank.
*********
Oskar erzählt die ganze Geschichte

Klar, Geschichte ist immer und überall. Doch es gibt Städte und Stätten, da sticht sie stärker und schneller ins Auge als andernorts. Danzig zählt dazu. Stolze Hansestadt und deutsch-polnischer Zankapfel, Ausgangspunkt des Zweiten Weltkriegs und Heimat der Solidarność, die am Niederreißen des Eisernen Vorhangs zwischen West und Ost beteiligt war – nach Lech Wałęsa, dem Anführer der Gewerkschaft, ist der Danziger Flughafen benannt.
Wie alles anfing mit der Stadt? So komplex ist der Geschichtsverlauf, dass man gerne zur Kurzversion von Günter Grass greift. „Zuerst kamen die Rugier, dann kamen die Goten und Gepiden, sodann die Kaschuben“, heißt es bündig in der „Blechtrommel“. Und so knapp dann weiter: „Bald darauf schickten die Polen den Adalbert von Prag. Der kam mit dem Kreuz und wurde von Kaschuben oder Pruzzen mit der Axt erschlagen. Das geschah in einem Fischerdorf und das Dorf hieß Gyddanyzc. Aus Gydannyzc machte man Danczik, aus Danczik wurde Dantzig, das sich später Danzig schrieb, und heute heißt Danzig Gdańsk.“
*********
Rechtstadt als Hotspot

Nicht die Altstadt, sondern die Rechtstadt, also die „richtige Stadt“ ist das touristische Zentrum Danzigs. Eine herausgeputzte Pracht. Mit bunten Giebeln und imposanten Beischlägen, die vom einstigen Wohlstand der Hansestadt künden. Viele der historischen Häuser sind verbunden mit Patrizierfamilien von ehedem – mit den Uphagens, Ferbers, Schumanns. Das Zentrum, im Krieg zu 90 Prozent zerstört, wurde in der Nachkriegszeit liebevoll rekonstruiert. Ein Augenschmaus.
Kein Wunder also, dass davon viele Besucher angelockt werden, auch aus den nahen baltischen Staaten. Die Langgasse (Ulica Długa) mit dem Artushof, dem Neptunbrunnen und dem Rechtstädtischen Rathaus ist die Hauptschlagader des Tourismus. Mit „Der Artushof“ (1816) hat E. T. A. Hoffmann eine Erzählung überschrieben, die den ehrwürdigen Handelssaal als Ausgangspunkt einer verzwickten Geschichte nimmt: „Nun schlich ein magisches Helldunkel durch die trüben Fenster, all das seltsame Bild- und Schnitzwerk, womit die Wände überreich verziert, wurde rege und lebendig.“ Auf der Beliebtheitsskala der Besucher folgt der Langgasse sogleich die Frauengasse (Ulica Mariacka) mit ihren vielen Treppenaufgängen vor den Häusern. Auch unbedingt sehenswert: die Lange Brücke (Długie Pobrzeże), also der Mottlau-Kai mit dem ikonischen Krantor und anderem mehr zwischen Grünem Tor (Zielnona Brama) und Fischmarkt. Hier finden die historische Gebäudepracht und der Wasserweg zur Ostsee zusammen, also die Bodenständigkeit und die Offenheit.
*********
Piroggen mit Pistazien

Einkehrmöglichkeiten gibt es zuhauf. Selbst zu touristischen Kernzeiten scheint es immer noch einen freien Platz zu geben. Wie wäre es mit „typisch“ polnischer Kost? Das wird deftig, haben wir gedacht. Aber nicht so im Tygle (Chmielna 10) auf der Speicherinsel, wo man von der verglasten Veranda auf das Krantor am gegenüberliegenden Mottlau-Kai blickt. Hier gibt es die verfeinerte Variante der polnischen Küche. Zwar wecken Matjes als Vorspeise oder das in Bier eingelegte Schnitzel als Hauptspeise zunächst einmal andere Assoziationen. Doch allemal wird hier mit spitzer Zunge abgeschmeckt und mit großer Fingerfertigkeit arrangiert. Die Krebssuppe ließ keine Wünsche offen, die Piroggen überraschten mit Pistazien und grünem Spargel. Nicht zuletzt eine optische Attraktion: die Schokoladenstacheln beim Seeigel-Mousse.
*********
Die „Falle“ in der Häkergasse


Wir nennen das Palupka einen Geheimtipp. Es liegt nah am Epizentrum und doch in der ruhigen Straganiarska 20, der ehemaligen Häkergasse, die man durch das spätgotische Häkertor betritt. Der Name bezieht sich auf den Berufsstand der Höker und bedeutet auch in der polnischen Variante Krämer oder Kleinhändler. Bier ist im Palupka die große Dominante – die eindrucksvolle Auswahl an Craft-Bieren wird auf einer Tafel hinter der Bar ausgewiesen. Mit Wein-Wünschen kommt man hingegen nicht weit. Neben einem spanischen Hauswein gibt es nur noch Riesling, Chardonnay und Grüner Veltliner in Dosen. Das sei „viel umweltfreundlicher als diese schweren Glasflaschen“, meint der freundliche Barmann. Zwar bedeutet Palupka auf Deutsch „Falle“. Doch das ist nur eine kecke Behauptung. Geräumig ist das Lokal, sympathisch das Team, bunt das Publikum, relaxt die Atmosphäre – wie gesagt: ein Geheimtipp.

Eine ganz in Rot getauchte Spezialität ist die Bar Wisniewski in der Ulica Piwna 20, gleich neben der Marienkirche. Auf die recht naive Frage, was denn hier angeboten werde, teilte uns die Kellnerin mit: „Hier gibt es nur Kirschlikör – aber den entweder kalt oder warm oder auch mit Prosecco gemischt.“ Wie in einer Apotheke aus alter Zeit reiht sich eine dickbäuchige Flasche an die andere. Was darin unter Verschluss gehalten wird, ist nichts als Kirschlikör. Für einen Aperitif oder einen Absacker kommen hier sichtbar viele vorbei. Und sie sehen alle – Beobachtungsphase: 29 Minuten – gut gelaunt aus. Rot macht offensichtlich glücklich.
Martin Oehlen
Fortsetzung folgt

*********
Bekomme Lust direkt meinen Koffer zu packen und freue mich schon auf den nächsten Reiseabschnitt. Liebe Grüße, Sabine
LikeGefällt 1 Person
Nichts wie hin! Die aktuelle Wetterlage ist sonnig. Beste Grüße zurück, M.
LikeGefällt 1 Person