„Mönch, halt die Klappe“: Besuch auf der Klosterinsel Reichenau, die im Zentrum der famosen Ausstellung „Welterbe des Mittelalters“ steht (2)

Das Münster St. Maria und Markus in Mittelzell auf der Insel Reichenau Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Ja, die Insel Reichenau, einst „Augia Felix“ genannt und seit Mitte des 19. Jahrhunderts per Damm mit dem Festland verbunden, ist das größte Exponat der Ausstellung „Welterbe des Mittelalters“. Das Badische Landesmuseum nimmt die Gründung des Klosters vor 1300 Jahren zum Anlass, zum einen herausragende Schätze aus Gold und auf Pergament im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz zu präsentieren (worüber wir HIER berichtet haben). Zum anderen lenkt es den Blick auf die Insel im Bodensee, die seit dem Jahr 2000 eine Welterbestätte der Unesco ist.

Kräutergarten frisch bepflanzt

Auf der Insel, die mit Gewächshäusern übersät ist, locken drei Kirchen aus karolingischer und ottonischer Zeit. Das ist St. Peter und Paul in der Ortschaft Niederzell, St. Georg mit dem einzigartigen Bilderzyklus in Oberzell und vorneweg das Münster St. Maria und Markus in Mittelzell.

Rechtzeitig zum Jubiläum ist der Klostergarten, der zur ehemaligen Klosterkirche der Benediktinerabtei gehörte, in Form gebracht worden. Einst soll hier der große Walahfrid Strabo (807-849) höchstpersönlich die Pflanzen versorgt haben. Dass er ein Mann vom Fach war, hat er in seinem „Buch über die Kultivierung der Gärten“ unter Beweis gestellt. Dieser „Hortulus“ birgt – fixiert in lateinischen Versen – zahlreiche Hinweise auf Heilpflanzen.

Der Krug aus Kana frisch geputzt

So säuberlich die Beete auch bestellt sein mögen, ist es doch die Schatzkammer, die einen besonders intensiven Eindruck hinterlässt. Da haben Umbau, Neuaufstellung, Restaurierung und Konservierung viel Gutes bewirkt. Blitzblank strahlen die Reliquienschreine in der Alten Sakristei nach der Grundreinigung. Auch der spätantike Krug, in dem Jesus bei der biblischen Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt haben soll, ist so gut wie freigegeben für den Publikumsandrang.

Der größte Schrein, eine Konstanzer Goldschmiedearbeit aus dem frühen 14. Jahrhundert, soll einige Gebeine des Evangelisten Markus beinhalten. Auf einer der beiden Stirnseiten ist die Echtheitsprobe, der „Kesselfang“, dargestellt. Da hält Bischof Ratolf die rechte Hand auf den Schrein, auf dem er selbst abgebildet ist, und taucht die linke Hand in einen Kessel mit kochend heißem Wasser. Ein Gottesurteil steht an: Empfindet der Bischof keinen Schmerz oder heilt die Verbrühung schnell, dann ist die Reliquie nichts als echt. So wie wir den Gesichtsausdruck des Bischofs deuten, hat es mit der Reliquie seine heilige Ordnung.   

„Ist das echt?“

Schon klar – man kann an Reliquien glauben, aber es auch lassen. Bei unserem Besuch erzählt Uwe Anker, der ehrenamtlich über „seine“ Insel führt, was er so erlebt, wenn er im Münster vor der Heilig-Blut-Reliquie angekommen ist, dem „wichtigsten Heiligtum“ der Reichenau, wie es im Begleitband zur Ausstellung heißt. Dabei handelt es sich angeblich um blutgetränkte Erde von der Kreuzigung Christi, Splitter vom Kreuz und ein blutgetränktes seidenes Tuch. Die Anekdote geht so: „Wenn ich eine deutsche Gruppe führe, wird gefragt: Ist das echt? Die englische Gruppe fragt: Wieviel ist das wert? Und die italienische Gruppe kniet nieder.“

Nur ein paar Schritte vom Münster entfernt präsentiert sich das Museum Reichenau ebenfalls im neuen Gewand.  Bewusst „unterschwellig“, sagt Kuratorin Cristina Negele, werden die Besucherinnen und Besucher durch die Schau geführt. Wer sich umschaut, wird mit den Basics zu Mönch und Mittelalter versorgt. Da ist dann auch zu erfahren, dass die Bezeichnung „Halt die Klappe“ mönchischen Ursprungs ist: Wer im Chorgestühl betete, sollte darauf achten, dass der hölzerne Klappsitz keinen Lärm machte.

Das neu gestaltete Museum Reichenau am Dorfplatz in Mittelzell Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Was heißt Latrine auf Lateinisch?

Im kleinen Museumsraum in Mittelzell werden ebenso wie in der großen Ausstellung in Konstanz zwei Spitzenkräfte des Klosters gewürdigt. Zum einen ist das der schon erwähnte Walahfrid Strabo. Vieles hat er geschrieben und veranlasst. Und die Ruhmesliste ist noch nicht abgeschlossen. Cristina Negele verweist auf neue Erkenntnisse, wonach neben dem Mönch Reginbert (gest. 846) dessen junger Mitbruder Walahfrid Strabo als Urheber des berühmten St. Galler Klosterplans anzusehen ist.

Wer es genauer wissen will, dem sei der gewichtige Tagungsband empfohlen, der anlässlich der Ausstellung und zusätzlich zum Begleitband erscheint. Dort bezeichnet Tino Licht den Klosterplan wegen der 334 Beischriften als „ein Literaturdenkmal“ und „ein Sprachdenkmal“. Bemerkenswert seien die „hochwertigen poetischen Tituli“, zudem die Exaktheit und Breite des Vokabulars. Allein für die Bezeichnung einer Latrine auf dem Plan werden vier verschiedene Wendungen genutzt: „requisitum naturae“, „necessarius exitus“, „necessarium“, „sedilia“. Darauf kann sich womöglich auch ein Nicht-Lateiner einen Reim machen. Der Mittellateiner Licht erklärt, der Klosterplan sei das „Zeugnis einer glücklichen Zusammenarbeit zwischen einem im Kloster etablierten Ideengeber, der das Werk organisiert und zu seiner Ausführung gebracht hat, und seinem jungen Mitarbeiter, der sein Talent in die sprachliche Umsetzung getragen hat“.

„Leonardo des Mittelalters“

Als zweite Lichtgestalt des Klosters gilt Hermann der Lahme (1013 –1054). Cristina Negele nennt ihn „das Genie seiner Zeit“, und an der Museumswand wird er zum „Leonardo des Mittelalters“ erklärt. Ein Multitalent. Musik und Astronomie waren ihm ebenso vertraut wie die Historie. Die „Weltchronik“ (Chronicon de sex aetatibus mundi) gilt als sein bekanntestes Werk und umfasst die Zeit von Christi Geburt bis zu Hermanns Todesjahr 1054. Walter Berschin attestiert dem Universalgelehrten, dass er mit „kritischer Distanz“ erzähle. Aber ob Hermanns Chronik, wie es im Begleitband weiter heißt, „heute noch gern gelesen wird“, darf zumindest infrage gestellt werden.

Das Skriptorium auf der Reichenau war somit Vermittler des Glaubens und des Wissens. Doch auch diese Blüte währte nicht ewig. Mitte des 11. Jahrhunderts nimmt die Zahl der Handschriften ab. Und bald schon verblasst das einst so überragende Skriptorium. Nach der Aufhebung des Klosters im Jahre 1757 verließen 1803 die letzten Mönche die Reichenau. Aber nun das: Seit September 2001 gibt es wieder eine kleine Cella mit Benediktinern auf der Insel. Nur die Sache mit dem Skriptorium hat sich endgültig erledigt – oder gibt es noch jemanden, der einen Pergamentband in Auftrag geben möchte?

Martin Oehlen

Der erste Teil

unserer Berichterstattung anlässlich der Ausstellung „Welterbe des Mittelalters“, wo es um die Prachthandschriften im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz geht, findet sich HIER.

Auf diesem Blog

haben wir im Vorfeld der Ausstellung HIER auf den Hillinus-Codex verwiesen, der als Leihgabe der Kölner Dom- und Diözesanbibliothek zu sehen sein wird. Allerdings erst ab Juli. Denn diese wie auch manch andere Handschrift kann aus konservatorischen Gründen nicht während der gesamten Ausstellungsdauer gezeigt werden. 

Die Ausstellung

„Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ ist vom 20. April bis zum 20. Oktober 2024 im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz, Benediktinerplatz 5, zu sehen.

Geöffnet Di–So 10–18 Uhr.

Eintrittspreise 14 Euro (erm. 11 Euro), Kinder 6–17 Jahre 5 Euro, Familien 33 Euro. Jubiläumsticket Reichenau (Museum Reichenau, Schatzkammer und Inselbus): 12 Euro (erm. 9 Euro), Kinder 6–17 Jahre 6 Euro. Kombi-Ticket Ausstellung in Konstanz, Museum Reichenau, Schatzkammer und Inselbus 23 Euro (erm. 20 Euro), Kinder 6–17 Jahre 11 Euro.

Begleitband zur Ausstellung: 36 Euro im Museum (45 Euro im Buchhandel). Zudem gibt es einen Band mit Aufsätzen einer vorbereitenden Tagung: 44 Euro im Museum (60 Euro im Buchhandel). Beide Bände im Schuber 80 Euro bzw. 95 Euro. Die Publikationen erscheinen im Verlag Schnell & Steiner.

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