
Foto: Paul Zsolnay Verlag
Auf Schloss Oberufer bei Bratislava rückte die Wiener Schauspielerin Ida Roland mit einer Idee heraus. Sie fragte im Jahre1923 in die Runde: „Wie wäre es mit Paul von Zsolnay?“ Wie wäre es also, wenn der Sohn des Hausherrn einem Verlag vorstünde, der sich mit Nachdruck der österreichischen Literatur zuwenden würde? Immerhin sei der 28-Jährige ein guter Organisator und verstehe etwas von Literatur. Als dann auch noch Franz Werfel, schon damals ein großer Name, seinen Roman „Verdi“ zur Veröffentlichung anbot, war es um Paul von Zsolnay (1895-1961) geschehen: Von einem Tag auf den anderen, so bekannte er, sei die Verlagsgründung beschlossen gewesen.
„Das Geheimnis der Kunst ist die Langeweile“
Franz Werfels „Verdi“-Roman, mit dem alles anfing, entzündet sich an der möglichen Begegnung zwischen Richard Wagner und Giuseppe Verdi, zwischen dem deutschen Meister und dem italienischen Maestro. Doch diese findet nicht statt. Im Roman kreuzen sich kurz die Blicke der Musikgrößen in Venedig, in der Realität ist es nicht einmal dazu gekommen.
Gegen Ende des Romans versichert Verdi seinem Freund Arrigo Boito, dass er dahintergekommen sei, was „das eigentliche Geheimnis aller Kunst ist“. Da ist der Schriftsteller und Komponist Boito gespannt. Und er staunt nicht schlecht über Verdis Verdikt: „Das Geheimnis der Kunst ist die Langeweile.“ Haben wir richtig gelesen: die Langeweile? „Ja, alle Wirkungen werden naturgemäß innerhalb einiger Jahre langweilig. Man muss neue erlisten. Das ist der ganze künstlerische Fortschritt!“ Es ist also die Langeweile, die zur Kreativität animiert. Arrigo Boito ist begeistert: „Bravo, Maestro!“
„Kein wirklicher Fachmann“
Das liest sich wie ein Auftrag, nach immer neuen Stoffen und Stilen Ausschau zu halten. Auch im Buchhandel. Als sich Paul Zsolnay auf die Reise in diese Welt begab, hatte er eigenen Angaben zufolge vom Verlagswesen „gar nichts“ verstanden. Selbst nach Jahrzehnten sei aus ihm „kein wirklicher Fachmann“ geworden, stellte er in einem Rückblick in den 1950er Jahren fest. Oft habe er sich von seinen Mitarbeitern anhören müssen, dass das eine oder andere, was er wünsche, gegen die Regeln verstoße. Er wisse, gab er ihnen zur Antwort, „dass Sie das viel besser verstehen als ich, aber ich leitet nun dieses Unternehmen und trage die volle Verantwortung. Ich bestehe daher darauf, dass die Dinge so blöde gemacht werden, wie ich es wünsche.“
Nun blickt das Wiener Haus auf seine ersten 100 Jahre zurück. Mit einer Verlagschronik, die Murray G. Hall und Georg Renöckl beisteuern. Und mit der Sonderausgabe von Franz Werfels „Verdi – Roman der Oper“, dem ersten Buch des Verlags, erschienen im April 1924. Dass Werfel beim Kurt Wolff Verlag ausgestiegen und bei Zsolnay eingestiegen ist, hatte übrigens nicht nur mit seiner Sympathie für das junge Unternehmen zu tun. Auch bot ihm Paul Zsolnay für die Erstauflage von „Verdi“ 10.000 Schweizer Franken im Voraus, das entsprach enormen 22 Prozent des Ladenpreises. „Beträge wie diese“, heißt es jetzt in der Chronik, „übertrafen in einer krisengeschüttelten Zeit bei weitem die Möglichkeiten anderer Verlage.“
„Kompromisse“ in der NS-Zeit
Dann allerdings geriet auch der Zsolnay Verlag ins Trudeln. Dafür sorgte erst die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929, dann vor allem die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933. Der deutsche Markt, wo der größte Teil des Umsatzes gemacht wurde, war vielen Autoren des Verlags fortan verschlossen – darunter Heinrich Mann, Friedrich Torberg, Arthur Schnitzler, H. G. Wells und Franz Werfel. Ihre Werke waren im NS-Staat verboten.
„Kompromisse“ seien ab 1934 „an der Tagesordnung“ gewesen, heißt es in der Jubiläumsschrift. Das Kalkül des Verlegers scheine darin bestanden zu haben, „dem Verlag das Überleben zu sichern, indem er verstärkt (österreichische Autoren) nationalsozialistischer Provenienz verlegte.“ Nach dem „Anschluss“ Österreichs im Jahre 1938 sei sich Paul Zsolnay allerdings klar darüber geworden, „dass es ihm nichts genützt hatte, nationalsozialistische Autoren an den Verlag zu binden.“ Noch im selben Jahr verließ er Wien in Richtung London – und kehrte erst nach dem Zweiten Weltkrieg zurück, um sich erneut an die Spitze des Verlags zu stellen.

Neuanfang mit Henning Mankell
Wie es weiterging? Machen wir es kurz! In den 1990er Jahren drohte der Verlag in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Da war es eine schier lebensrettende Tat, dass im Jahre 1996 der Hanser Verlag aus München das Haus übernahm. Als erster Scoop der neuen Zeit galt, dass Zsolnay den Schweden Henning Mankell (und seinen Kommissar Wallander) ins Programm aufnahm. Der Autor spielte bis dahin außerhalb seiner Heimat keine literarische Rolle. Doch von da an war Bestseller-Time, wenn der Name Mankell auf dem Titel stand.
Zudem wurde nunmehr die „mitteleuropäische Ambition“ in die Tat umgesetzt – mit Autoren wie Ivo Andric, Claudio Magris und Fulvio Tomizza. Auch das aktuelle Programm des Jahres 2024 zeugt davon. Toxische Pommes, das Pseudonym einer Social-Media-Größe mit dem Realo-Vornamen Irina, legt dort „Ein schönes Ausländerkind“ vor. Der autofiktionale Roman erzählt von der Flucht einer serbisch-montenegrinischen Familie vor dem Jugoslawien-Krieg nach Österreich. Denn in Kroatien, wo sie lebte, hatte sich das Klima radikal verändert: „Freunde und Nachbarn waren zu Ethnien und Religionen geworden.“
„Pfeiler der Demokratie“
Die Verlagschronik beschließt ein Gespräch mit Programmleiter Herbert Ohrlinger. Darin geht es selbstverständlich um „die an Brüchen und Kontinuitäten so reiche Geschichte des Hauses“. Er sei überzeugt, lesen wir, dass es auch in Zukunft aufregende, unterhaltsame, komplizierte Bücher geben werde, in welcher Form auch immer. „Wir müssen aber darauf achten, dass das Lesen nicht zu etwas Elitärem wird.“
Das ist Herbert Ohrlingers Botschaft für den Moment und für die Zukunft: „Lesen halte ich für einen Pfeiler unserer Demokratie, ohne den Austausch von Erfahrungen verlieren wir sie.“
Martin Oehlen
Das Zsolnay-Lesefest
Der Zsolnay Verlag feiert seinen 100. Geburtstag am 8. Juni 2024 mit einem Lesefest in Wien. Autorinnen und Autoren des Hauses lesen und diskutieren im Belvedere 21 (nur 1000 Meter entfernt vom Verlagssitz in der Prinz-Eugen-Straße). Der Eintritt ist frei.
Murray G. Hall und Georg Renöckl: „Welt in Wien – Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024“, Paul Zsolnay Verlag, 204 Seiten, 20 Euro.
Franz Werfel: „Verdi – Roman der Oper“, Sonderausgabe mit einem Nachwort von Jens Malte Fischer, Paul Zsolnay Verlag, 480 Seiten, 28 Euro.
Toxische Pommes. „Ein schönes Ausländerkind“, Paul Zsolnay Verlag, 206 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.


