„Ein Buch für die Stadt“ feiert Jubiläum (3): Jürgen Becker fixiert vergehende Augenblicke, Norbert Scheuer erweitert den Kall-Kosmos und Jovan Nikolić serviert eine Muschel

Norbert Scheuer in seinem Garten Foto: Bücheratlas

Die Kölner Lesereihe „Ein Buch für die Stadt“ hatte vor 20 Jahren Premiere. Auf diesem Blog wollen wir an die ausgewählten Bücher und ihre Autorinnen und Autoren in einer kleinen-schnellen Reihe erinnern. Die ersten sechs Jahrgänge haben wir HIER und HIER vorgestellt. Nun geht es zum nächsten Trio.

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2009

„Schnee in den Ardennen“ von Jürgen Becker

Wer Jürgen Becker erst einmal für sich entdeckt hat, wird von seinen Texten nicht mehr lassen mögen. Mit ihm als aufmerksamem Beobachter streift man aufs Schönste durch die Zeiten. Nur zu gerne überlässt man sich seinem suggestiven Sound, der nach coolem Jazz klingt. Auch in „Schnee in den Ardennen“. Jürgen Becker bezeichnet diese Prosa als Journalroman – so wie er auch noch Journalsätze, Journalgeschichten und Journalgedichte geschrieben hat. Da kommt der Garten in den Blick, die sich wandelnde Umgebung, die Sportnachrichten, das Wetter, der Krieg, die Jugend und vieles, vieles mehr. „Das journalhafte Schreiben bedeutet für mich“, so sagte er es in jenem Jahr im Interview, „eine Art Chronik der vergehenden Augenblicke zu schreiben. Das Schreiben zu öffnen für den Gang der Bewusstseinsereignisse. Dazu gehören Assoziationen, dazu gehört die permanente Korrespondenz von Gegenwart und Vergangenheit. Es ist ein offenes Schreiben.“

2010

„Überm Rauschen“ von Norbert Scheuer

„Das Geniale an der Literatur ist“, so sagte es Norbert Scheuer seinerzeit bei einem Spaziergang auf den Höhen bei Kall, „dass man unendlich viele Leben leben kann.“ Diesen Genuss hat sich der Autor nun schon häufiger gegönnt und damit das einzigartige Eifel-Universum ein ums andere Mal erweitert. In dem Roman „Überm Rauschen“ findet er sich ein in den Ich-Erzähler Leo Arimond, der in seinen Heimatort zurückkehrt, wo sich Bruder Hermann in einem Zimmer verbarrikadiert hat. Eine magisch-realistische Geschichte, zu dessen Protagonisten der Urfisch Ichthys gehört, auf dessen Schuppen alle Fische dieser Welt abgebildet sein sollen. „Überm Rauschen“ wurde mittlerweile gefolgt von fünf weiteren Romanen mit Kall als Mitte der Welt, zuletzt „Winterbienen“ und „Mutabor“. Dafür ist dem Autor die öffentliche Aufmerksamkeit weiterhin gewiss. In den vergangenen vier Wochen hat er gleich zwei Literaturpreise erhalten: In München den mit 30.000 Euro dotierten Rainer-Malkowski-Preis und in Aachen den mit 20.000 Euro dotierten Walter-Hasenclever Preis (bei dem der Autor dieser Zeilen die Laudatio halten durfte).

2011

„Weißer Rabe, schwarzes Lamm“ von Jovan Nikolić

Der Vater von Jovan Nikolić war ein Rom, die Mutter eine Serbin und der Großvater trug Knoblauch in seiner Jackentasche, um Vampire abzuwehren. Mit Miniaturen aus dieser Welt hat der Autor den Prosaband „Weißer Rabe, schwarzes Lamm“ gespickt, mit bitteren und mit kuriosen Geschichten. Insgesamt vier Bücher hat er bislang auf Deutsch veröffentlicht. Er wolle nur schreiben, wenn er einen dicken Fisch an der Angel habe, sagte er 2011: „Mein künstlerisches Credo ist: Schreib, wenn du einen Grund hast! Wenn das nicht der Fall ist, lass die Finger vom Kugelschreiber. Ich will nicht eine Muschel anbieten, in der kein Fleisch steckt.“ Die Muschel, die er in diesem Band serviert, schmeckt allerdings vorzüglich.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir die ersten Jahrgänge vom „Buch für die Stadt“ bereits vorgestellt.

Folge 1: Irmgard Keun, Italo Calvino und Haruki Murakami (HIER)

Folge 2: Orhan Pamuk, Rafael Chirbes und Kirsten Boie (HIER)

Das Buch für die Stadt 2023

ist „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher.

Mitwirkende Personen

„Ein Buch für die Stadt“ ist eine Initiative des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und des Literaturhaus Köln. Auf Seiten des Literaturhauses federführend: Jetzt Bettina Fischer, am Anfang Thomas Böhm, zwischendrin Insa Wilke. Und bei der Zeitung: Jetzt Anne Burgmer, am Anfang der Autor dieser Zeilen, zwischendrin Frank Olbert. Neben Literaturhaus und „Kölner Stadt-Anzeiger“ war und ist in der Jury der Kölner Buchhandel vertreten: Ehedem Klaus Bittner und aktuell Hildegund Laaff. Sehr wichtig für diese Initiative ist das Engagement der institutionellen und freien Veranstalter, die sich mit eigenen Programmen einbringen.

Ein Gedanke zu “„Ein Buch für die Stadt“ feiert Jubiläum (3): Jürgen Becker fixiert vergehende Augenblicke, Norbert Scheuer erweitert den Kall-Kosmos und Jovan Nikolić serviert eine Muschel

  1. Vielen Dank für diese inspirierende Vorstellung und für deine leidenschaftliche Begeisterung für Literatur. Ich bin gespannt darauf, diese Bücher zu entdecken und eure zukünftigen Empfehlungen zu verfolgen.

    Mit Vorfreude auf literarische Abenteuer,
    Marc

    Gefällt 1 Person

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