
Mehr geht nicht. So viel „geballtes Engagement“ für das Literaturhaus Köln, stellte dessen Leiterin Bettina Fischer gleich zu Beginn der jüngsten Veranstaltung fest, kommt selten zusammen. Nicht einmal auf der Bühne der Kölner Institution. Was war da los? Reinhold Neven Du Mont, der Gründungs- und Ehrenvorsitzende des Hauses, stellte sich den Fragen von Wolfgang Schmitz, der seit 2021 das Amt innehat. Ein Sonntagsgespräch über Schreiben und Verlegen, über Köln und München. Ja, da kam einiges zusammen – viel mehr als nur die 161 Lebensjahre, die Wolfgang Schmitz zusammengezählt hatte.
García Márquez und Wallraff als Visitenkarten
Reinhold Neven Du Mont, 1936 in Köln geboren, war über drei Jahrzehnte lang Verleger von Kiepenheuer & Witsch. Dass es eine erfolgreiche Zeit war, steht außer Frage. „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez und „13 unerwünschte Reportagen“ von Günter Wallraff seien seine Visitenkarten gewesen: „Da wusste jeder, wohin die Reise geht.“
Welcher Eindruck aus der Distanz der Jahre dominiere, wollte Wolfgang Schmitz wissen. Es sei die produktive und harmonische Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen gewesen, sagte Reinhold Neven Du Mont. Und einige von denen, die damals dabei waren, bezeugten dies jetzt durch ihre Anwesenheit im Saal.
Die klare Zäsur
In das „tiefe Loch“, vor dem er von Freunden gewarnt worden ist, sei er nicht gefallen. Nach dem Ende seiner verlegerischen Tätigkeit sei ihm noch ein Beratervertrag angeboten worden. Doch den habe er abgelehnt. „Ich wollte nicht der Alte sein, der zweimal im Jahr die Treppe hochkommt, alle freundlich begrüßt und dann sagt, dass früher alles besser gewesen sei.“ Er habe die „klare Zäsur“ bevorzugt.
Danach kam das Schreiben. Als aktiver Verleger, so sagte er, wäre es ihm nicht in den Sinn gekommen, einen eigenen Titel ins Programm zu nehmen. „Das halte ich für problematisch.“ Denn an der Spitze eines Verlags habe man eine dienende Funktion – nicht den eigenen Veröffentlichungen gegenüber, sondern denen der Autorinnen und Autoren des Hauses.
Die Rechte der Frauen
Jetzt aber sitzt er auf der anderen Seite des Tisches. Dabei hatte ein Zufall Pate gestanden. Als den Ex-Verleger die Einladung des Piper-Verlags erreichte, für eine Buchreihe seine persönliche Sicht auf Köln zu schildern, war er zunächst zögerlich. Denn seine Geburtsstadt hatte er da fürs Erste verlassen, weil er dem „Gespinst“ entkommen und Neues entdecken wollte. Doch dann hat er sich auf „Mein Köln“ eingelassen und dabei gemerkt, was für ein Vergnügen ihm das Schreiben bereitet. Seitdem kommt er nicht mehr davon los.
Jüngst ist der Roman „Alexandra Minderop“ im Dittrich Verlag erschienen, aus dem der Autor drei Passagen las. Die Geschichte ist frei angelehnt an das Leben seiner Großmutter Alice Minderop (1877-1964). Diese hatte sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts als Frauenrechtlerin einen Namen gemacht. „Eine Dame, eine Gestalt aus dem 19. Jahrhundert“, heißt es im Buch. „Was sie auch tat, sie tat es mit der Würde einer Königin.“

Zugriff des Bademeisters
Seine Großmutter habe nicht, so sagte es Reinhold Neven Du Mont, zur sozialdemokratisch-kommunistischen Fraktion gehört, die eine bessere Zukunft für die Frauen nur in einem Sturz des Systems erblicken wollte. Stattdessen war sie in der bürgerlichen Frauenbewegung aktiv. So gehörte sie 1909 zu den Mitbegründerinnen des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, später war sie in der Gedok aktiv, der „Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine“. Im Roman klagt sich Alexandra-Alice an, 1933 dem Druck der Nazis nicht widerstanden und die Eingliederung des Frauenverbandes in die NS-Frauenschaft betrieben zu haben. „Ich habe mich gebeugt. Warum habe ich das getan?“
Die Ambivalenzen in diesem Leben haben Reinhold Neven Du Mont gereizt. So ist Alexandra für ihn eine Frau, die mit ihrer Fürsorge der Entwicklung des Sohnes tendenziell im Wege steht. Auch ist sie eine Persönlichkeit, die stets darauf bedacht ist, die Fäden in der Hand zu behalten. Niemals will sie als Frau zum Objekt degradiert werden – nicht in der Familie und nicht in der Gesellschaft. „Das ist ihr verhasst“, stellte der Autor klar. Als Alexandra im Roman von einem kräftig zupackenden Bademeister vor dem Ertrinken gerettet wird, kommt dies einem Schock gleich. Nicht, weil sie beinahe gestorben wäre, sondern weil sie dem Wasser nicht gewachsen und der Hilfe eines Fremden ausgeliefert war. Gar keine Frage: Ein attraktiver Stoff ist das.
„Ich schreibe unentwegt Erzählungen“
„Ich glaube, dass jeder Roman einen biographischen Kern hat“, sagte Reinhold Neven Du Mont. Allerdings sei das Buch keine Biographie. Tatsächlich nimmt sich der Romancier die Freiheiten, die zu den schönsten Freuden der Fiktion gehören. Umso leichter fiel es ihm womöglich, weil jeder in seiner Familie eine andere Geschichte erzählte, wenn die Rede auf die Großmutter kam. Und so stirbt Alexandra Minderop in der Fiktion deutlich früher als Alice Minderop, verheiratete Neven DuMont, im Leben.
Ursprünglich hatte Reinhold Neven Du Mont einen kürzeren Text im Sinn gehabt. „Ich schreibe unentwegt Erzählungen – eine nach der anderen.“ Nach jeweils 15 bis 20 Seiten „hat es sich“, wie er sagte. Aber eben nur im Prinzip. „Bei diesem Stoff fand ich kein Ende.“
„Da geht mir das Herz auf“
Und schon ist ein neues Projekt in Arbeit. Wieder ein Roman. Und von den Erzählungen, wie gesagt, kann er sowieso nicht lassen. Erzählungen seien sicher nicht die Lieblingsbücher der Verlage, erklärte er, weil die sich angeblich nicht gut verkaufen ließen. „Aber ich lasse mich nicht beirren.“
Zum Schreiben kommt er vor allem am Ammersee, wo er wohnt. Von dort sei er mit der S-Bahn schnell in München. In der bayerischen Metropole benötige er kein GPS, um zum Ziel zu kommen. Er kenne sich also aus. Doch Köln, wo er noch eine Wohnung hat, sei weiterhin „meine Stadt“. Immer, wenn er über die Hohenzollernbrücke in den Bahnhof einfahre und dann auf den Vorplatz hinaustrete, wo sein Blick auf den Dom und auf das Verlagsgebäude von Kiepenheuer & Witsch fällt, „geht mir das Herz auf“.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
findet sich HIER eine kurze Geschichte des Literaturhaus Köln anlässlich seines 25-jährigen Bestehens.
Lesung
Reinhold Neven Du Mont liest aus seinem Roman „Alexandra Minderop“ in Köln in der Kupido-Depotbuchhandlung (27. September 2023, 18.30 Uhr, Eintritt: 10 Euro, erm. 6 Euro; Pantaleonsmühlengasse 38-40). Es handelt sich um die erste Lesung in der neuen Buchhandlung, die sich auf Bücher aus Independent Verlagen konzentriert. Einen Beitrag dazu haben wir auf diesem Blog HIER veröffentlicht.
Reinhold Neven Du Mont: „Alexandra Minderop“, Dittrich Verlag, 132 Seiten, 20 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
