
Auf unsere Freundschaft. Auf ewig in Montjoie“, das schwören sich Wilhelm, Jacob und Luise an einem Wintertag im Jahr 1868. Drei Perlen aus dem Perlenbach sollen die Kinder an ihr Versprechen erinnern, „wenn wir später einmal weit voneinander entfernt sind“. Damit ist der Grundstein gelegt für eine lebenslange Verbundenheit zwischen den Hauptfiguren in Anna-Maria Casparis bewegendem Roman „Perlenbach“.
Kaum das Nötigste zum Leben
Wie schon der Vorgängerband „Ginsterhöhe“, der die Zeit zwischen 1919 (und 1945 thematisiert und den wir auf diesem Blog HIER besprochen haben), spielt der zeitlich vorgelagerte zweite Band ihrer Eifel-Trilogie in weiten Teilen in Wollseifen. Dabei handelt es sich um jenes legendäre Dorf, das nach dem Zweiten Weltkrieg von den britischen Besatzern als Truppenübungsplatz genutzt und weitgehend zerstört wurde.
1865 ist Wollseifen ein intaktes Bauerndorf, dessen Einwohner dem kargen Boden kaum das Nötigste zum Leben abtrotzen können. Montjoie, wie das heutige Monschau bis 1918 hieß, liegt mehrere Fahrstunden entfernt. Noch ahnt niemand, dass wenige Jahrzehnte später zwei Weltkriege auch diese abgelegene Region durcheinanderschütteln werden.
Bauernjunge und Fabrikantensohn
Auf dem Lintermann-Hof, den wir bereits aus „Ginsterhöhe“ kennen, herrschen Not und Hunger. Der despotische Vater drangsaliert Frau und Kinder, und so ist der neunjährige Wilhelm froh, als der reiche Fabrikbesitzer Becker ihn im Winter 1867 als Spielgefährten für seinen Sohn Jacob nach Montjoie einlädt. Dort lernt der Bauernjunge ein Leben kennen, von dem er bislang nicht einmal zu träumen wagte.
Anschaulich schildert Anna-Maria Caspari den Alltag der großbürgerlichen Fabrikantenfamilie und die Schulstunden gemeinsam mit Jacob und der Arzttochter Luise. Noch sind sich die drei Freunde der sozialen Kluft zwischen ihnen nicht bewusst. Auf ewig in Montjoie! Doch schon bald trennen sich die Lebenswege von Wilhelm, Jacob und Luise.


Ein kleines Wunder im 19. Jahrhundert
Während Jacob auf ein Leben als Tuchfabrikant vorbereitet wird, kehrt Wilhelm nach einigen Jahren in Montjoie zurück auf väterlichen Hof. Und auch Luise tritt in die Fußstapfen ihres Vaters. Sie wird Ärztin – ein kleines Wunder in der Endphase des 19. Jahrhunderts, als Frauen allein als Gasthörerinnen in deutschen Hörsälen geduldet wurden. Erst 1904 werden sich die Freunde ein letztes Mal wiedersehen.
„Perlenbach“ ist ein ruhig erzähltes und gut recherchiertes Sittengemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Anna-Maria Caspari greift darin eine Fülle von Themen auf (Homosexualität, Frauenrechte, die bittere Armut der Eifelbevölkerung), ohne den Roman jedoch zu überladen oder – schlimmer noch – ihre Leserinnen und Leser durch allzu große Detailverliebtheit zu langweilen. Ganz im Gegenteil: Mehr davon, möchte man sagen, wenn „Perlenbach“ nach knapp 400 Seiten endet. Mehr von solchen Büchern, die einem (Heimat-)Geschichte mit leichter Hand und offensichtlicher Erzählfreude näherbringen.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog
haben wir Anna-Maria Casparis „Ginsterhöhe“, den Auftaktband zu ihrer Eifel-Trilogie, HIER besprochen.
Das „Rote Haus“ in Monschau
ist eine Top-Attraktion in dem touristisch stark frequentierten Eifel-Ort. Der Tuchmacher Johann Heinrich Scheibler ließ das prächtige Gebäude um 1760 errichten. Heute ist es ein frisch saniertes Museum, das einen guten Eindruck vermittelt von der großbürgerlichen Wohnkultur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Dass das „Rote Haus“ eine Inspirationsquelle für den Roman „Perlenbach“ gewesen sein könnte, deutet schon das Buchcover an, auf dem es zu sehen ist.
Anna-Maria Caspari: „Perlenbach“, Ullstein, 362 Seiten, 16 Euro. E-Book: 13,99 Euro.
