
Ein pädophiler Kriminalkommissar missbraucht einen 13-Jährigen und zerbricht fast an seinen Schuldgefühlen. Dennoch zieht es ihn immer wieder zu dem minderjährigen Prostituierten Adrian, der seinen Körper auf dem Parkplatz eines Schwimmbades verkauft. Kann, darf oder besser: Muss man über einen solchen Mann schreiben? Über seine verbalen Selbstgeißelungen, die in einen misslungenen Selbstmordversuch münden? Über die Lust, die ihm der knabenhafte Körper des Heranwachsenden Woche für Woche bereitet? Über seine Vertuschungsmanöver und Selbstbeschwichtigungen, die ihn, den Vertreter von Recht und Ordnung, zu einem Mann ohne Skrupel machen?
Die Obsessionen des Kommissars
Nun, Jan Costin Wagner hat genau das getan. Er hat einen Kriminalroman über das Doppelleben eines pädophilen Ermittlers und Familienvaters geschrieben. Ohne Wenn und Aber, ohne Beschönigung, dafür mit einem gewissen Grundverständnis für einen Mann, der beherrscht wird von seinen sexuellen Neigungen und zunehmend daran verzweifelt. „Einer von den Guten“ ist – nach „Sommer bei Nacht“ (2020) und „Am roten Strand“ (2022) – der dritte Band über den Wiesbadener Kommissar Ben Neven.
Der Enddreißiger gehört zu einem Spezial-Team, das gegen einen deutschlandweiten Pädophilen-Ring ermittelt, muss sich jedoch eingestehen, dass auch er sich zunehmend zu sehr jungen Männern hingezogen fühlt. Während er in den beiden ersten Bänden der Reihe seine sexuellen Phantasien weitgehend vor dem heimischen Computer auslebt, hat er in „Einer von den Guten“ die rote Linie vom bloßen Zuschauer zum aktiven Täter überschritten.
Am Scheideweg
Auf einem Parkplatz in Dortmund, dort, wo ihn niemand kennt, trifft er sich mit dem rumänischen Strichjungen Adrian, der ihm für 50 Euro zu Diensten ist. Adrian wird von seinem Vater zur Prostitution gezwungen. Er geht nicht zur Schule, und erst die Zufallsbegegnung mit der gleichaltrigen Vera eröffnet ihm einen Weg in ein anderes, ein besseres Leben.
Jan Costin Wagner präsentiert die Geschichten von Ben Neven und Adrian in zwei unterschiedlichen Erzählsträngen. Das ist zweifellos gut gemacht und überzeugend erzählt: Zwei Männer, der eine blutjung, der andere in der Mitte seines Lebens, stehen an einem Scheideweg, der über ihr weiteres Schicksal bestimmt. Und doch bleibt nach der Lektüre des Buches die Frage: Sollte man eine solche Geschichte erzählen? Ist es wichtig, in dieser Form, also in einem Roman über die Seelenqualen von Pädophilen aufzuklären? Oder ging es dem Autor vielmehr darum, eine in der deutschen Krimiszene einzigartige Hauptfigur zu schaffen, die genug Diskussionsstoff birgt, um „Einer von den Guten“ in den Fokus der Aufmerksamkeit zu stellen? Ein übler Verdacht, keine Frage. Leicht von der Hand zu weisen ist er allerdings auch nicht.
Petra Pluwatsch
Jan Costin Wagner: „Einer von den Guten“, Galiani, 204 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

Es geht wohl darum, wie gut, mit welcher literarischen Kraft ein Buch geschrieben ist. Ein pädophiles Thema wird bei Nabokov zur Weltliteratur, Opus Pistorum von Henry Miller ist reine Pornografie .
Trotzdem, schwierige Frage!
LikeGefällt 1 Person
Es geht wohl darum, wie gut, mit welcher literarischen Kraft ein Buch geschrieben ist. Ein pädophiles Thema wird bei Nabokov zur Weltliteratur, Opus Pistorum von Henry Miller ist dagegen reine Pornografie .
Trotzdem, es bleibt eine schwierige Frage!
LikeGefällt 1 Person
Das ist mit Sicherheit eine Gratwanderung, aber generell würde ich sagen: Es gibt nichts, worüber man nicht schreiben darf. Voraussetzung ist natürlich, dass man den sexuellen Missbrauch an Kindern weder verherrlicht noch relativiert. Und die Perspektive des Opfers sollte man natürlich auch nicht aus dem Auge verlieren. Dieses konkrete Buch kenne ich nicht, aber generell schätze ich Jan Costin Wagner als Autor ein, der sich für menschliche Abgründe interessiert und seine Themen nicht aus Effekthascherei und Kalkül wählt. Da gibt es sicherlich viele andere Beispiele von skrupellos kommerziellen Krimis.
LikeGefällt 1 Person