Die wunderbare Eskalation der Beatlemania: Paul McCartneys Fotografien der historischen Beatles-Tournee im Jahre 1964

Eine Szene wie aus dem Film „A Hard Day’s Night“: Paul McCartney fotografiert aus dem Wagen die Fans, die die Band verfolgen. Foto: Paul McCartney 1964 / C. H. Beck

Mit Politik im herkömmlichen Sinn hatten wir nichts am Hut“, schreibt Paul McCartney. „Betrachtet man das Streben nach Freiheit allerdings als eine Form von Politik, dann befanden wir uns tatsächlich im Zentrum einer Freiheitsbewegung, die in die Kultur, die Kunst und die Politik vordrang.“ Mit diesen Worten ordnet Sir Paul, der Brite mit dem Legenden-Status, die Beatles und die „Beatlemania“ ein, die vor 60 Jahren eskalierte.

Farbe für die Swimmingpools in Miami

Damals brachen George Harrison, John Lennon, Ringo Starr und Paul McCartney in Liverpool auf, um über London und Paris in die USA zu gelangen. Zum ersten Mal. Keine drei Monate zuvor war Präsident John F. Kennedy in Dallas ermordet worden. Doch das Land war offensichtlich nicht der Schwermut anheimgefallen, sondern empfing die vier Briten kreischend und jubelnd, staunend und irritiert. Auf allen Stationen war dies der Fall – in New York, Washington und Miami und rund um die massenwirksame Ed Sullivan Show im Fernsehen. Bald darauf nahmen fünf Beatles-Songs die ersten fünf Plätze der Singles-Hitliste in den USA ein.

Ein wilder Trip. Und Paul McCartney hat ihn in Bildern festgehalten. Von Dezember 1963 bis Februar 1964 machte er rund 1000 Fotografien, von denen nun 275 in dem Bildband des Verlags C. H. Beck versammelt sind. Sie vermitteln Energie und Achtsamkeit, Intimität und Humor. Die Mehrzahl wurde in Schwarz-Weiß fixiert. Erst als die Beatles die sonnengefluteten Swimmingpools von Florida erreichten, kommt Farbe ins Bild.

Eine der eher seltenen Farbaufnahmen, aufgenommen in Miami: George Harrison ganz cool am Pool. Foto: Paul McCartney 1964 / C. H. Beck

„For the first time“

Begleitet werden die Aufnahmen von Erläuterungen des fotografierenden Musikers. Zudem gibt es eine Einordnung durch die Historikerin Jill Lepore (deren „Geheime Geschichte von Wonder Woman“ wir HIER besprochen haben) sowie eine fotokunsthistorischen Würdigung durch Rosie Broadley, der Chefkuratorin der National Portrait Gallery in London. Die britische Institution präsentiert vom 28. Juni bis 1. Oktober eine Ausstellung zum Buch (oder ist es doch eher das Buch zur Ausstellung?). Beworben wird sie mit dem Hinweis, dass die McCartney-Aufnahmen „for the first time“ zu sehen seien.

Nicholas Cullinan, der Direktor der National Portrait Gallery, schreibt in einem Geleitwort: „Wir wissen alle, wie die Beatlemania von außen ausgesehen und geklungen hat, aber wie erging es den vier jungen Männern, die sie am eigenen Leib erlebten?“ Das können wir uns nun etwas besser vorstellen.

John Lennon und George Harrison in Paris Foto: Paul McCartney 1964 / C. H. Beck

„Les Beatles“ in Paris

Die Bilder entpuppen sich als beeindruckendes und berührendes Dokument, aufgenommen im Auge des popkulturellen Hurrikans. Mit Paul McCartney ist der Betrachter einerseits backstage unterwegs. Da sieht man Ringo herumalbern, George im Klammergriff einer Gähn-Attacke und John mit schwergewichtigem Brillengestell.

Andererseits gibt es durchaus „touristische“ Schnappschüsse. Denn selbst für die Beatles ist noch manches neu. Nicht in Paris, wo sie als „Les Beatles“ im Olympia angekündigt werden. Aber doch in den USA, wo die Stadtlandschaft ein wenig anders aussieht als daheim in Europa.

Ringo Starr in London Foto: Paul McCartney 1963-64 / C. H. Beck

„Freude über die Vergangenheit“

Vor allem macht das Album deutlich, wie sehr die Band selbst von der Wucht der Begeisterung überrascht wird. Aus dem Auto heraus fotografiert Paul McCartney die Fans, die den Musikern auf der Straße hinterherlaufen oder sie mit glücksgeweiteten Augen erwarten. Er richtet den Fokus auf Polizisten und Pressefotografen, als staunte er, dass sie alle wegen der Band im Einsatz sind. Es sind Aufnahmen von einer immer noch frischen Intensität. Nicht zuletzt wartet der Band mit zahlreichen Porträtfotos auf – vom Manager bis zum Chauffeur sind so ziemlich alle Fixsterne des Beatles-Kosmos vertreten.

Wer durch dieses Zeitdokument blättert, könnte womöglich melancholisch werden. Wie groß und frisch das doch alles war! Und wer seitdem bereits gestorben ist! Doch Paul McCartney rät zu einer anderen Sichtweise. Die banale Wahrheit sei halt: „Hier kommt niemand lebend raus.“ Nicht aus diesem Leben. Aber dennoch! Er empfinde „weniger ein Gefühl von Verlust als von Freude über die Vergangenheit.“ Und da wurde, wie hier aufs Schönste zu sehen ist, jede Menge geboten. In diesem Sinne ein dreifaches Hoch auf die Freiheitskämpfer aus Liverpool: „Yeah, Yeah, Yeah!“

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir von Jill Lepore, die eine Einleitung zum Paul-McCartney-Bildband beigesteuert hat, die „Die geheime Geschichte von Wonder Woman“ HIER vorgestellt.

Der Verlag C. H. Beck

hat von Paul McCartney zuletzt zwei Bände (in einem Schuber) mit „Lyrics“ veröffentlicht.

Ausstellung

in der National Portrait Gallery in London: „Paul McCartney – Photographs 1963-64 – Eyes of the Storm“, vom 28. Juni bis 1. Oktober 2023.

Das Foto

am Kopf der Seite ist ein Ausschnitt aus einer Aufnahmeserie von Paul McCartney in Paris. Das Copyright liegt auch hier bei Paul McCartney 1963. Der Verlag C. H. Beck, der die deutsche Ausgabe herausgibt, hat die Aufnahmen zur Verfügung gestellt.

Paul McCartney: „1964 – Augen des Sturms“, dt. von Conny Lösch, mit einer Einleitung von Jill Lepore, C. H. Beck, 336 Seiten, 49 Euro. E-Book: 33,99 Euro.

2 Gedanken zu “Die wunderbare Eskalation der Beatlemania: Paul McCartneys Fotografien der historischen Beatles-Tournee im Jahre 1964

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