Auf dem Kölner Neumarkt gibt es bis zum 5. September ein Kulturprogramm. Ein Schwerpunkt der Initiative „Nimm Platz“ ist das tägliche Literaturangebot, das von der Literaturszene Köln kuratiert wird. Schon einige Male haben wir darüber berichtet (die Links gibt es am Ende des Beitrags). Nun folgt ein Beitrag über die Lesung von Christoph Danne.
***

Es herrschen verschärfte Bedingungen beim Auftritt von Christoph Danne auf dem „Nimm Platz“-Lesefest. Es sind nicht die Cosplayer der Gamescom, die den Kölner Neumarkt queren und mit ihrer Kostümierung viele Blicke auf sich ziehen. Auch der Bettler, der sich stimmkräftig durch die Stuhlreihen bewegt, bemerkt schnell, dass er seine Sache auf ungünstigem Terrain betreibt. Vielmehr ist es eine Erkältung, die Christoph Danne plagt.
Der Autor bittet vorab darum, den mehrfachen Griff zur Wasserflasche zu entschuldigen. Gleichwohl meistert er diese Unpässlichkeit hervorragend. Nicht einmal den Halsbonbon, den ihm eine fürsorgliche Zuhörerin nach 20 Minuten auf den Tisch legt, nimmt er in Anspruch. Aber das wäre ja auch keine Lösung gewesen: Tatsächlich liest es sich mit so einem Objekt im Mund nicht besser.
Die Abwesenheit von Zimmerpflanzen
Christoph Danne ist gerne unterwegs. Nicht nur im Kopf, sondern auch in der Welt. „Von Belfast bis nach Athen“ hat er seine Lyrik-Lesung überschrieben. Er schätze Hotels, sagt er, also das Leben in den Transiträumen. Die zufälligen Begegnungen, die Abwesenheit von Zimmerpflanzen, das Unpersönliche, die umfassende Betreuung („Dial 0 for Anything“) – all das sage ihm zu. Nach einem Aufenthalt in einem Hotelzimmer nehme er „mehr“ mit als er beim Einzug dabeigehabt habe. Und damit sei nicht die geklaute Seife aus dem Bad gemeint. Vielmehr sei es so wie mit dem Sand vom Strand, den man in den Schuhen nachhause trage.
Auf welche Weise er sich bereichert fühlt, führt er anhand einiger neuer Gedichte vor. Sie erscheinen vermutlich im kommenden Jahr. Aber schon jetzt gibt es im Gelben Pavillon Kostproben dieser lyrischen Beobachtungen „kreuz und quer von unterwegs“. Viel Zeit, dem Rost beim Wandern auf den Heizungsrippen zuzuschauen, wie es einmal heißt, bleibt da nicht. Aber für farbige, meist erfrischend plastische Beobachtungen reicht es immerzu.

Stillstand auf offener Strecke
Alle diese neuen Gedichte tragen einen Hotelnamen. Da folgt Christoph Danne einer persönlichen Schreiberfahrung: „Ich kann gut arbeiten“, antwortet er auf die Frage eines Kollegen im Publikum, „wenn ich ein Tableau habe.“ Also ein Konzept, eine Leitlinie. Darüber verfügt er auch bei einem weiteren Projekt, das er an diesem Spätnachmittag vorstellt. Da geht es um die Linie 1 der Kölner Verkehrsbetriebe. Es ist die älteste und längste Straßenbahnverbindung der Stadt.
Alle 37 Haltestellen von Weiden West bis Bensberg beziehungsweise umgekehrt, will er mit je einem literarischen Text würdigen. Das Ergebnis soll formal und inhaltlich so offen und heterogen sein, wie die KVB selbst es ist. Die Auszüge klingen verheißungsvoll und vertraut: „Manchmal dieser Stillstand auf offener Strecke.“ Allerdings handelt es sich bei diesem Vorhaben um eine Herausforderung, wie Christoph Danne sagt: „Das schlaucht mich wie weniges zuvor – ich bin froh, wenn es vorbei ist.“

Das Manuskript ist vollgemalt
Ein Lyriker auf Reisen – hinaus in die Welt, hinein ins Ich. Dem Publikum sagt die Lesung fraglos zu. Allerdings gibt die kleine Tochter in der ersten Reihe den Takt vor. Und die möchte mit den Eltern weiterziehen. Das Manuskriptblatt, das ihr vom Lesepult gereicht wurde, ist längst vollgemalt. So merkt sie sich den Hinweis, dass noch drei Gedichte zu lesen seien. Kaum ist das erste abgeschlossen, lässt die Tochter wissen: „Noch zwei.“
So ist es. Und dabei bleibt es. Beifall auf allen Seiten.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir schon vielfach über die Lesungen im Rahmen von „Nimm Platz“ berichtet. Das ist die Übersicht:
Vorbericht mit allen Leseterminen (HIER), Eröffnung und Lesung Ulrike Anna Bleier (HIER), Lesungen von Julius Metzger, Claus Daniel Herrmann, André Patten, Jan Schillmöller und Sehnaz Dost (HIER), Lesungen von Maren Gottschalk, Georg Smirnov, Anke Glasmacher und Thea Mantwill (HIER); Lesungen von Thomas Empl und Wolfgang Schiffer (HIER); Lesungen von Johanna Dombois und Angela Steidele (HIER); die Lesung von Jennifer de Negri (HIER); die Lesung von Joachim Geil (HIER); die Lesung von Nasima Sophia Razizadeh (HIER).
Die Bilanz, die Autorinnen und Autoren bei der Premiere von „Nimm Platz“ im Jahr 2023 gezogen haben, gibt es HIER.