„Nimm Platz“ auf dem Kölner Neumarkt: Lesungen von Julius Metzger, Claus Daniel Herrmann, André Patten, Jan Schillmöller und Sehnaz Dost im Gelben Pavillon   

Mitwirkende und Organisatoren von „Nimm Platz“ mit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor dem Gelben Pavillon am Neumarkt. Fotos: Bücheratlas / M.Oe.

Die Kulturaktion „Nimm Platz“ auf dem Kölner Neumarkt bietet Lesungen, Konzerte, Tanz, Film, Performances, Gespräche und Fotoprojekte. All das kostenlos und noch bis zum 5. September. Ein erklärtes Ziel ist dabei, den Neumarkt – nach den Worten von Oberbürgermeisterin Henriette Reker „eines der größten Sorgenkinder“ der Stadt – wieder „zu einem besseren Platz zu machen“. Über den Start haben wir berichtet, auch über den Auftritt von Ulrike Anna Bleier. Hier nun Eindrücke von weiteren Lesungen der vergangenen Tage.

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Auftritt am 23. Juli: Julius Metzger alias Vapiano.

Julius Metzger: Dem Autor schmeckt’s nicht

Julius Metzger alias Vapiano liest aus „Gastro Guide 24“ (Strzelecki Books). Ja, die Zahl deutet an, dass das Werk nun auch schon zehn Monate alt ist. Es handelt sich um Kölner Vignetten mit Beilage. Oder um Reviews, wie der Autor sagt. Er zieht – mal mit Esther, mal mit Marieke, mal mit einem Freund, mal solo – durch Kölner Restaurants, Bistrots und Kaffeebars. Da vergibt er Sterne zwischen 1 und 5. Tendenziell schmeckt’s dem Autor nicht, wie seinem unterhaltsamen Vortrag bei stetig anwachsendem Publikum zu entnehmen ist. Was soll man auch von Pak-Choy-Salatblättern halten, die falsch geschnitten sind! Wenn mal nicht bis zum Anschlag gesalzen wird, ist das schon ein Lob wert.

Und wenn es einmal Sushi sein soll? Bis Düsseldorf, so der Hinweis aus der Verlagswerbung, sei es ja so weit nicht. Überhaupt sei die Kölner Restaurant-Szene, hören wir jetzt von Julius Metzger, „überaltert“. Einmal gibt es gar das ultimativ vernichtende Urteil: Er, der Autor, koche mittlerweile schon so schlecht wie die hiesige Gastro-Szene.

Aber Essen und Trinken ist auch nicht alles. Immer geht es auch um die Menschen an den Nebentischen, denen er heimlich sein Ohr leiht. Und er hört zudem in sich hinein und erkennt, dass er eine Rolle annimmt, wenn er ein Restaurant betritt. Der Gastro-Flaneur überzeugt an diesem Tag auch Menschen, die auf dem Neumarkt zuhause sind. Die „Nimm Platz“-Bänke vor und die „Nimm Platz“-Stühle um die Bühne sind gut besetzt.

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Auftritt am 24 Juli: Claus Daniel Herrmann mitten im Making-of-Segment seiner Lesung.

Claus Daniel Herrmann: Treppen sind total ätzend

Claus Daniel Herrmann ist mit einer szenischen Lesung seiner Graphic Novel „Pinke Monster“ (Reprodukt Verlag) am Start. Während die Sirenen den Neumarkt umkreisen und ein kollabierter Junkie von Sanitätern zurück in seinen Rollstuhl bugsiert wird, zeigt der Autor und Zeichner seine eindrucksvolle Bilderfolge. Die Panels sprechen für sich, nur bei Geräuschen („Kritzel“) oder Dialogen („Mama?“) mischt er sich live ein. Das funktioniert verblüffend intensiv an diesem unruhigen Ort.

„Pinke Monster“ ist die autofiktionale Geschichte eines Jungen, der (für einen Freund) Monster zeichnet, bis eine „Heilerin“ die Bilder zerstört, weil diese angeblich für miese Energie im Haushalt sorgten und die Depression des Vaters beförderten. Eine Coming-of-Age-Geschichte mit einem schwulen Coming Out, wie der studierte Designer – mit einem Master in Game Design – seine Geschichte skizziert. Im Gespräch mit seinen Freunden, sagt er, habe er nie vermitteln können, warum er der Esoterikerin im elterlichen Haushalt nachgegeben habe. In seiner Graphic Novel hingegen sei es ihm leichter gefallen, diese „Absurdität“ zu erklären. Und tatsächlich versteht man, wie der Jugendliche sich zunächst fügt, weil es doch um das Wohl des kranken Vaters geht.

Aufschlussreich auch die Fragerunde. Da hatte Claus Daniel Herrmann Gelegenheit, seine Arbeitsweise zu erläutern. Alles, was im Bild zu sehen sei, habe er mit eigener Hand gemalt. Allerdings nicht mehr auf Papier, sondern auf dem Bildschirm. Das erleichtere vieles. Auch habe er sich eines 3-D-Modells des Hauses bedient, in dem sein Held lebt, um mithilfe von Screenshots die Arbeit voranzutreiben: „Treppen perspektivisch zu zeichnen, ist total ätzend.“ Schließlich habe er sich selbst gefilmt, um Mimik und Motorik genauer zu erfassen. Das ist der Tipp des Comic-Zeichners: Nicht Fotos helfen beim Zeichnen wirklich weiter, sondern Bewegtbilder.

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Auftritt am 26. Juli: Jan Schillmöller am Tisch und André Patten in der ersten Reihe.

André Patten und Jan Schillmöller: Not that bad in Cologne

André Patten und Jan Schillmöller haben in Leipzig Kreatives Schreiben studiert. Nun präsentierten sie in einem vergleichsweise kurzen Auftritt im Gelben Pavillon, was dabei herauskommt. Beide lasen Beziehungstexte, die ergänzt wurden von bildkünstlerischen Arbeiten. Jan Schillmöllers „PUZZLE“, eine Exkursion zu einem schwindenden Gletscher und einer strahlenden Sonne, wurde begleitet von Stills der Künstlerin Sophia Hose. Und André Pattens Erzählung „Kaffee und Blumen“ illustrierten farbenfrohe Arbeiten der ukrainischen Künstlerin Anna Sarvira. All diese Bilder sind keine Interpretationen, sondern luftig-leichte Akzente am Rande. 

André Pattens autofiktionale Geschichte handelt von einem gewissen André aus Deutschland und einer gewissen Anna aus der Ukraine, die einander näherkommen. Aber ist der Mann überhaupt „heiratsfähig“? Doch, schon! Zwar muss ihm die Freundin erst einmal vermitteln, wie belebend der Kaffeegenuss sein kann und wie wichtig es ist, die „richtigen“ Blumen zu verschenken. Aber am Ende wird alles gut – zum Beweis zeigt der Autor seinen Ehering vor. Und die Anna in der Erzählung sagt: „Sometimes it’s not that bad in Cologne.“

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Auftritt am 27. Juli: Sehnaz Dost mit den Elementarteilchen einer Lesung

Sehnaz Dost: Also, Leute, kauft mein Buch!

Sehnaz Dost liest aus ihrem Debütroman „ruh“, der im Februar 2024 im Ecco Verlag erschienen ist. Die türkische Vokabel im Titel steht für „Seele“. Im Zentrum: der Deutschlehrer Cemal, der einst als „Kofferkind“ aus der Türkei nach Deutschland gekommen, der also seinen Eltern mit Verspätung in die neue Heimat gefolgt ist. Nach einer kurzen Vorrede gibt die Autorin das Kommando: „Okay, let’s go!“

Allemal sind es nur Appetizer, die in der Kürze der „Nimm Platz“-Auftritte geboten werden können. So geht es diesmal vor allem um eine „Binnengeschichte“, wie Sehnaz Dost sagt. Diese führt zurück in Cemals Jugendzeit, als unterm „Kippenbaum“ die Zigaretten vergraben wurden, die Schule eine Last und das Autofahren eine Sache der Ehre war. Doch schon dieser Kostprobe ist zu entnehmen, dass es der Autorin um die Wortlosigkeit im Miteinander geht und um das allfällige Risiko, in Schwarze Löcher zu stürzen.

Die erste Frage, die nach der Lesung gestellt wird, ist ganz im Sinne der Autorin: „Gibt es das Buch auch zu kaufen?“. Ja, das ist der Fall. „Schöne Frage!“, sagt Sehnaz Dost. Wofür man nur Verständnis haben kann, da die Autorin vom Schreiben leben möchte. Dabei ist „ruh“ erst ihr Debüt. Aber es geht weiter. Zum Inhalt des nächsten Werks, an dem sie arbeitet, möchte sie nur drei Worte sagen: „Schuld, Widerstand, Zukunft.“ Das sei ihr „Elevator Pitch“, also die Bonsai-Zusammenfassung des Schreibprojekts. Wie es ihr mit dem Schreiben als Brotberuf ergehe? „Ich hangele mich so durch – also, Leute, kauft mein Buch.“

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir über die Premiere von „Nimm Platz“ im Jahre 2023 HIER und auch HIER berichtet.

Den Auftakt zum neuen „Nimm Platz“-Jahrgang 2025 haben wir HIER dargestellt. Und den diesjährigen Auftritt von Ulrike Anna Bleier gibt es genau HIER.  

Das Programm

des „Literatursommers“, der im Rahmen von „Nimm Platz“ stattfindet, haben wir komplett HIER platziert.

Heute, morgen, übermorgen

An diesem Dienstag liest Georg Smirnov Gedichte aus seinem Band „Zurichtungen“ (17.30 Uhr) anschließend laufen sieben Kurzfilme unter dem Motto „Stattkino – Viele Stimmen, ein Platz“ (19.30 Uhr). Am Mittwoch folgt Isabella Archan mit „Die Schlange von Sirmione“ (17.30 Uhr); vorher und nachher geht es um „Die fotografische Vermessung der Welt“ (16 Uhr und 19 Uhr). Am Donnerstag ist Anke Glasmacher mit ihrem neuen Lyrikband „Zur Stunde Blau“ im Gelben Pavillon zu Gast; anschließend werden unter dem Titel „Stattkino – Sound der Stadt“ sieben Kurzfilme geboten (19 Uhr).

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