
Hier kommt das Rätsel des Tages: Wer ist der beliebteste oder die beliebteste Deutsche in Lateinamerika? Na? An dieser Stelle pausieren wir kurz, um die Gedanken kreisen zu lassen. Aber weil keine Zeilen verschwendet werden sollten, kommt jetzt schon die Auflösung: Richtig, es ist Alexander von Humboldt (1769-1859). Den aufgeklärten Humanisten und gelehrten Naturforscher nennt man auf den Längen- und Breitengraden zwischen dem Golf von Mexiko und Feuerland auch den „zweiten Entdecker“.
Literarische Fundgrube
Michi Strausfeld, seit eh und je eine Fürsprecherin der lateinamerikanischen Literatur im deutschen Sprachraum, verrät dieses Detail in dem Band „Die Kaiserin von Galapagos – Deutsche Abenteuer in Lateinamerika“. Der ebenso kurzweilige wie lehrreiche Band begibt sich auf die Spuren, die von Deutschen, aber auch von Österreichern und Schweizern auf dem fernen Kontinent hinterlassen wurden.
„Da ich weder Politikerin noch Ökonomin bin“, schreibt Michi Strausfeld, „werde ich mich auf die kulturellen Aspekte beschränken.“ Für ihren „summarischen Überblick“ schöpft sie ein ums andere Mal aus der Literatur – denn da kennt sie sich vor allem aus. Sie zitiert nicht nur lateinamerikanische Stimmen. Denn es haben sich auch viele deutschsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit dem Kontinent befasst oder ihn sogar aufgesucht. Von Adalbert von Chamisso über Stefan Zweig bis zu Hilde Domin, die mit ihrem Ehemann Erwin Walter Palm in die Dominikanische Republik floh. Aus jüngerer Zeit gehört Uwe Timm dazu, der über den Pionier Carlos Gesell (1891-1979) den Roman „Der Verrückte in den Dünen“ geschrieben hat.
„An diesem Ort haben wir eine Stadt gebaut“
Die Verlockung des Bandes liegt in der Fülle seiner Fundsachen. Wie es losging mit den deutsch-lateinamerikanischen Beziehungen? Im Jahre 1494 wird im „Narrenschiff“ von Sebastian Brandt erstmals literarisch erwähnt, dass „Goldinseln“ entdeckt worden seien. 1507 findet sich die Vokabel „América“ auf einer Landkarte des deutschen Kartographen Martin Waldseemüller. Und 1536 ist der deutsche Landsknecht Ulrich Schmidel dabei, als eine Stadt gegründet wird: „An diesem Ort haben wir eine Stadt gebaut, welche man gennenet Buenos Aires, das ist zu teutsch gute Luft.“
So geht es immer weiter und immer bunt voran. Zu den Fuggern und Welsern, die Geschäfte machten; zu den deutschen Jesuiten, die allerdings viel später als ihre Glaubensbrüder aus Spanien und Portugal eintrafen; zu den vielen Forschenden wie Maria Sibylla Merian (1647-1717), die im Urwald von Surinam Schmetterlinge malte und studierte; und zu den Abenteurern und Zivilisationsflüchtlingen, zu denen auch jene gehörten, die sich auf der Insel Floreana niederließen und in der vielfach aufbereiteten „Galapagos-Affäre“ mitwirkten.
„Sympathisanten des Dritten Reichs“
Nicht wenige der angeführten Namen sind in Lateinamerika geläufig, aber bei uns wenig bekannt. So galt der aus Halle stammende Linguist Rudolf Lenz (1863-1938) einst als bester Kenner des Araukanischen, also der Sprache der Mapuche; und der aus Eisenach stammende Fotograf Hugo Brehme (1882-1954) hat Mexiko „einen enormen Schatz an nicht nur dokumentarischen, sondern auch künstlerischem Material“ hinterlassen, wie Elena Poniatowska rühmend festgehalten hat.
Allerdings passt der Untertitel des Bandes, der „deutsche Abenteuer“ ankündigt, nicht auf alle, die ihren Fuß auf den Kontinent gesetzt haben. Schon gar nicht auf die Nazis, die dort ihr Unwesen trieben. In Argentinien lebten sie mit jüdischen Deutschen, wie der Autor Ariel Magnus es dargestellt hat, „Tür an Tür“. Und die nazifreundliche „Deutsche La Plata Zeitung“ konkurrierte mit dem liberalen „Argentinischen Tageblatt“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangten viele Nazis – auch so exponierte wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und Klaus Barbie – über die „Rattenlinie“ nach Südamerika. „Die zahllosen Sympathisanten des Dritten Reichs“, schreibt Michi Strausfeld, „hatten ein weit verzweigtes und effizientes Netzwerk aufgebaut.“
Der „Boom“ der 1970er
Besonders groß war das deutsche Interesse an Lateinamerika seit Mitte der 1970er Jahre. Zumal der literarische „Boom“ sorgte für Furore. Nicht zuletzt hatte die Frankfurter Buchmesse daran einen großen Anteil gehabt. Autoren wie Jorge Luis Borges, Juan Rulfo, Mario Vargas Llosa, Julio Cortázar, Gabriel García Márquez, Manuel Puig, Carlos Fuentes und viele mehr wurden plötzlich ins Deutsche übersetzt.
Doch die Begeisterung habe sich längst wieder gelegt, sagt Michi Strausfeld. „Seit der Jahrtausendwende ging das politische und literarische Interesse an Lateinamerika in Deutschland unaufhaltsam zurück“. Allein die Nachfrage nach den Rohstoffen des Kontinents sei nach wie vor groß. Das genügt der Autorin nicht. Sie plädiert für einen intellektuellen Kulturaustausch. Dies sei auch eine Möglichkeit, den Kontinent „nicht gänzlich China und Russland“ zu überlassen. Mit einem Appell beschließt sie ihren kulturhistorischen Reigen: Lateinamerikaner und Deutsche sollten „sich wieder mehr füreinander interessieren und mehr miteinander reden“. Ist das nur ein frommer Wunsch?
Martin Oehlen
Michi Strausfeld: „Die Kaiserin von Galapagos – Deutsche Abenteuer in Lateinamerika“, Berenberg, 264 Seiten, 24 Euro.
