Einzelgänger ohne Peilung: „Es werden schöne Tage kommen“ von Zach Williams bietet starke Stories

„Die Sonne war kreidig und stumpf“, heißt es in den Stories von Zach Williams. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Der kleine Max hat gerade das Sprechen angefangen. Umso erstaunlicher ist das erste Wort, das wir von ihm vernehmen: „Umheimich“. So sagt er es, ohne das l, als er eine Schnappschildkröte zu Gesicht bekommt. Später wird er das Wort noch einmal aussprechen. Da erblickt er seine Mutter, nachdem sie ihn einige Tage allein in seinem Gitterbett zurückgelassen hatte. Bei diesem Wiedersehen sagt er ihr ins Gesicht: „Unheimich.“

Die USA auf der Psycho-Couch

Verstörend und fesselnd sind die Kurzgeschichten, die Zach Williams in seinem Debütwerk „Es werden schöne Tage kommen“ vorstellt. Weil es der Nachname des im US-Bundesstaat Delaware geborenen Autors nahelegt: Im Vergleich zu Joy Williams, deren sensationelle Stories ebenfalls bei dtv vorliegen, geht er düsterer und thematisch fokussierter ans Werk. Meist stehen Männer im Zentrum, die aus der Bahn geraten sind. Mal geschieht dies durch den plötzlichen Tod der Partnerin, mal aus einer diffusen Angst heraus, mal ohne weitere Ursachenforschung.  

Selbstverständlich lesen wir diese Stories auch als Beiträge zu einem Psychogramm der Vereinigten Staaten, die unter der Führung von Donald Trump und Elon Musk wie umgekrempelt scheinen. Was wir den Fiktionen des Zach Williams entnehmen, ist alles andere als beruhigend. Da gibt es keine Familie und keine Partnerschaft, die auf Liebe und Harmonie gebettet ist. Verwirrte allenthalben. Einzelgänger ohne Peilung. Und die Kinder sind in vielen Fällen die Leidtragenden.   

„Was für ein Mensch sind Sie, Jeremy?“

Was ist nur mit den Männern los, möchte man ausrufen. Das geht gleich los mit dem „Probelauf“, in dem unter drei Arbeitskollegen das Misstrauen blüht. In „Das Sauerkleehaus“ beschließt Jacob, so lange vor der Kühltruhe im Keller sitzen zu bleiben, bis er herausgefunden hat, „wann und wie und durch wen“ die Lebensmittel aufgefüllt werden. In „Der Golfwagen“ fahren nachts zwei Brüder Patrouille auf ihrer Farm, hören „Grateful Dead“ und wissen: „Es liegt was in der Luft.“ In „Mausefallen“ wird Jeremy beim Einzelhändler mit der Frage konfrontiert, die ihn umhaut: „Was für ein Mensch sind Sie, Jeremy?“ In „Ghost Image“ imaginiert der Erzähler seinen Sohn, den er aus den Augen verloren hat, und kommt zu dem Ergebnis: „Meine kostbarsten Erinnerungen kollidieren mit den unheimlichsten.“ Und in „Lucca Castle“, einer Geschichte um eine Querdenker-Sekte im kruden Kampf gegen Kapital und Technologie, lautet eine Parole: „Jeder von uns weiß es – da draußen geht alles vor die Hunde.“

Nie bekommen wir alle Enden einer Geschichte zu packen. Das macht einen Teil der Faszination aus. Jederzeit könnte sich der Boden auftun, und zu keiner Zeit ist man sich einer Sache sicher. Wer von den Protagonisten eben noch bei Sinnen zu sein schien, ist plötzlich nicht mehr bei Trost.

„Die Sonne war kreidig und stumpf“

Unheimlich sind diese Geschichten allemal. Da und dort taucht ein märchenhafter Wald auf, der wie eine Schleuse wirkt zwischen den Ebenen von Wahn und Wirklichkeit. Auch einige Elemente aus Schauer- und Horrorromanen schimmern auf: Wenn im Nachbarhaus eine tote Frau entdeckt wird, während ein Unbekannter danebensteht, oder wenn einem Kind ein elfter Zeh wächst, den der Vater für überflüssig hält.

Zach Williams beeindruckt ein ums andere Mal mit unkonventionellen Wendungen. Souverän verschiebt er die Schwerpunkte, so dass die Leserinnen und Leser sich nie in einem entspannten Gleichgewicht befinden. Dabei sind seine Beobachtungen so genau wie anschaulich: „Die Sonne war kreidig und stumpf, und das Versiegen des morgendlichen Berufsverkehrs hatte was von einer Ebbe, als wäre nun alles in die Stadt geschwemmt worden. Kaputte Parkuhren standen in einer Reihe wie zur Exekution, gelbe Säcke über dem Kopf.“

„Weil’s dort Ka-mehl gibt“

Für solche Sätze ist auch Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz zu danken, die diese Geschichten ins Deutsche übertragen haben. Mit Bravour. Nicht nur finden sie viele attraktive Vokabeln. Selbst ein albernes Wortspiel transformieren sie ins Deutsche. Warum man in der Wüste kein Brot backen kann? „Weil’s dort Ka-mehl gibt.“

Es ist ein Band voller Starkstromstories. Einige von ihnen enden mit der Andeutung, dass nun alles besser werde. Wie in „Das Sauerkleehaus“, dem der Buchtitel entnommen ist: „Es werden schöne Tage kommen.“ Doch danach sieht es gar nicht aus. Der kleine Max hat den Durchblick: „Unheimich“.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir die „Stories“ von Joy Williams, die in der Rezension erwähnt werden, HIER vorgestellt.

Zach Williams: „Es werden schöne Tage kommen“, dt. von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz, dtv, 272 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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