
Wer ist A.? Eine karrierebesessene Aufsteigerin? Ein naives Dummchen? Oder eine skrupellose Kriminelle? Was feststeht: A. ist eine Spielerin. Eine, die alles tut, um herauszukommen aus dem niedersächsischen Provinznest, in dem sie aufgewachsen ist. Weg von ihrem überbesorgten Vater. Weg vom Freund, der die gemeinsame Zukunft – Haus, Garten, Kinder, Pool – bereits geplant hat. Weg von dem öden Job in der örtlichen Sparkasse. Für A. soll’s rote Rosen regnen, in Zürich, Paris und Moskau, in Schanghai und in Berlin.
„Leichtfertige Geldwäsche“
Bis A. sich als „Buchhalterin der Mafia“ auf der Anklagebank eines deutschen Gerichts wiederfindet. Ein Jahr Haft erhält sie wegen „leichtfertiger Geldwäsche“, sechs Monate davon auf Bewährung. Doch A. hat vorgesorgt. „Unter den unzähligen Konten, die sie an fernen Südseestränden eröffnet hat, wird sich auch eines finden, das ihr gehört.“ Sie wird sich einrichten in einer neuen Existenz. Darin hat sie schließlich Übung.
„A. wirkt auf unauffällige Weise gepflegt mit ihrem kinnlangen Pagenschnitt, der über dem Kragen einer cremeweißen Bluse endet“ – so beschreibt Isabelle Lehn die Protagonistin ihres Romans „Die Spielerin“. Es ist eine Frau, die im Auftrag der Mafia mit Millionen jongliert und eine Nachrichtenagentur in den Konkurs treibt.
Der Fall der Martina N.
„Die Spielerin“ beruht auf einem wahren Kriminalfall. 2004 musste die Nachrichtenagentur DDP Insolvenz anmelden, weil sie auf einen Hochstapler, angeblich ein Strohmann der kalabrischen Mafia, hereingefallen war. In den Fokus der Ermittlungen geriet eine Mitarbeiterin der Agentur. Martina N. stand, wie sich herausstellte, im Dienst der ‘Ndrangheta und hatte den Deal eingefädelt.
Diese unscheinbare Frau, die im Prozess kaum jemand beachtet habe, habe sie interessiert, erzählt Isabelle Lehn in einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Allerdings habe sie sich von der Vorlage gelöst und A.s Geschichte so erzählt, wie sie sich ereignet haben könnte. „Mir ging es um die größeren Zusammenhänge. Und um die Frage, welche gesellschaftlichen Vorurteile A.s kriminellen Erfolg begünstigen.“
Eine Frau ohne Skrupel
So wird in Isabelle Lehns aufregendem True-Crime-Roman aus Martina N. eine Frau ohne Skrupel, die alles daransetzt, in der männerdominierten Welt der Banken Karriere zu machen. Wie ein Chamäleon passt sich A. den Gegebenheiten an, ist mal die Naive, mal das sexy Weibchen. Stoisch erträgt sie die Männerwitze ihrer Kollegen, mit denen sie nachts um die Häuser zieht, und nutzt die Gier ihrer Kunden für den eigenen Aufstieg.
Was die Faszination dieses Romans ausmacht: Isabelle Lehn erzählt die unglaubliche Geschichte der A. aus mehreren Perspektiven. Jeder, der sich an sie erinnert, macht sich ein anderes Bild von der Frau mit dem kinnlangen Pagenschnitt. Keines davon stimmt. Ein literarisches Vexierspiel, das zu lesen ein Genuss ist.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog
haben wir Isabelle Lehn schon einmal kurz während einer Viral-Lesung in Pandemie-Zeiten beobachtet – und zwar HIER.
Lesungen
mit Isabelle Lehn in Frankfurt im Hessischen Literaturforum am 19. 9. 2024 und im Literaturhaus Köln am 26. 9. 2024.
Isabelle Lehn: „Die Spielerin“, S. Fischer, 272 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
