
Die Freie Szene in Köln sorgt sich um ihre Zukunft. Dabei ist die Gegenwart schon herausfordernd genug. Um drohende Kultur-Kürzungen im Haushalt der Stadt und die sich daraus ergebenden Einschnitte für die Freie Szene abzuwenden, hat sie am Montag vor dem Kölner Rathaus demonstriert. Auch geht es darum, mehr Transparenz und Mitsprache zu ermöglichen. Das Motto auf dem Theo-Burauen-Platz: „Aufstehen für die Vielfalt der Freien Kunst & Kultur“.
20 Prozent statt 5 Prozent
„Die für den städtischen Doppelhaushalt 2025/26 bereits konkret angedachten Kürzungen sind der falsche Weg“, heißt es in einer Mitteilung des Kulturnetz Köln. Angesichts oft prekärer Arbeitsbedingungen sei jede Kürzung eine existentielle Bedrohung für Festivals und Spielstätten, Ensembles und Projekte, künstlerische Vielfalt und individuelle Erwerbsmodelle. „Wir fordern eine weitsichtige Politik, die die Freie Szene und ihre Strukturen stärkt, künstlerische und kuratorische Spielräume verteidigt, nachhaltig entwickelt und ihre internationale Vernetzung unterstützt.“
Zwar ging es den Rednerinnen und Rednern in erster Linie darum, dass der Anteil der Freien Szene am Kulturetat nicht schrumpft. Schon gar nicht derart drastisch wie gemunkelt wird. Doch war den meisten Anwesenden wohl bewusst, dass es das Ziel sein sollte, diesen Anteil zu erhöhen. Statt 5 Prozent, so sagte es Manuel Moser vom Kulturnetz Köln, sollten es 20 Prozent vom Kulturetat sein. Auch diesem Redebeitrag applaudierten die anwesende Kulturpolitikerin und die anwesenden Kulturpolitiker. Hingegen wurde der Kulturdezernent der Stadt Köln während der Ansprachen nicht gesichtet.
10.000 Kunstschaffende in der Stadt
„Nein, wir hoffen nicht“, sagte Kathrin Röggla, Trägerin des Heinrich-Böll-Preises und Professorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Vielmehr müsse sich die Stadt das Engagement für die Freie Szene leisten. Es handele sich um eine „Minimalforderung an die politisch Verantwortlichen“. Die Rede von Kathrin Röggla, die so oder so ähnlich auch auf weitere Großstädte im Land zielt, dokumentieren wir am Fuße dieses Artikels.
Die Freie Szene zählt in Köln nach eigenen Angaben 10.000 Kunstschaffende, vorneweg Künstlerinnen und Künstler. Naheliegend, dass nicht alle gekommen waren, aber doch sehr viele. Das Spektrum reichte von B wie Bildende Kunst bis Z wie Zeitgenössischer Zirkus. Mittendrin finden sich die blühende Literaturszene, der Tanz und das Theater, die Musik und der Film und alles, was zwischen den Sparten leuchtet.
Der Rotstift liegt also schon mal bereit. Damit er nicht zum Einsatz kommt, meldet sich die Freie Szene frühzeitig zu Wort. Die Demonstration am Montag, so wurde es verkündet, sei „nur der Anfang“ gewesen.
Martin Oehlen

Kathrin Röggla
Eine demokratische Gesellschaft kann ohne Kunst nicht existieren
Seit einiger Zeit bekomme ich an den unterschiedlichsten Orten, im Rundfunk, in Akademien und politischen Gremien, mit, dass Kultur etwas ist, was als verzichtbar gilt. Das ist schockierend. Von Kunst redet ohnehin schon lange keiner mehr. Sie habe einen elitären Beigeschmack. Wo sind die Zeiten hin, wo „Kunst für alle“ ein Programm war? Wo es außer Frage stand, dass die Teilhabe an ästhetischer Erfahrung ein wesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Miteinanders ist. Daran gilt es hier und heute zu erinnern.
Es gibt eine äußerst lebendige Szene
Denn ich bin absolut davon überzeugt, dass eine demokratische Gesellschaft ohne Kunst nicht existieren kann, auch wenn ich den Umkehrschluss niemals ziehen würde, dass Kunst einer demokratischen Gesellschaft dienen muss. Nun könnte man sagen, dass diese Stadt, also Köln, selbst in Fußballzeiten wie diesen voll von künstlerischen Ereignissen ist, Kultur ihr Wesensmerkmal, das könnte man ja schon beim Karneval sehen. Im Ernst: Es gibt eine äußerst lebendige Szene hier, und gerade die freie Szene ist es, die die Basis aller Kunstproduktion darstellt. Hier wird erprobt und ausprobiert, hier wird experimentiert, und es sind vor allem auch eher jüngere Akteur:innen, die hier oft auf sehr riskante Weise die Ausgangsbasis schaffen für ein kulturelles und künstlerisches Leben, übrigens der Teil, der mit den wenigsten Fixkosten auskommt, der ironischerweise am wenigsten von den Tarifsteigerungen betroffen ist, die anderswo jetzt Probleme bereiten.
Nun steht das zur Disposition – es drohen Kürzungen, wo wir ohnehin im Gegensatz zu der Rüstungsindustrie – ja, diesen Vergleich muss ich herstellen – in der Minderwirtschaft stecken. Dies geschieht in einem Umfeld, in dem noch zusätzlich Programmmittel gekürzt werden: in der ARD, in den Institutionen, in den Kommunen und Ländern, das wäre katastrophal.
Kunst kann nicht im Markt aufgehen
Gehen wir vielleicht einen Schritt zurück: Warum benötigen wir überhaupt Kulturförderung und gar die freie Szene? Weil es möglich sein muss, Fehler zu machen, weil Dinge ausprobiert werden müssen, weil Kunst nicht im Markt aufgehen kann, selbst wenn man es ganz eng sehen würde: Die paar verkaufsträchtigen Superkünstler:innen existieren nur, weil sie in einem breiten Milieu groß werden konnten, niemand macht alleine Kunst, auch wenn es manchmal so wirkt, als würde sie alleine verkauft werden.
Zudem muss sie ein Ort sein, an den alle kommen können, ein Ort, an den zu kommen für alle finanzierbar ist. Ein leistbarer und notwendiger Ort der Verständigung, der Reflexion, des Perspektivwechsels – das sind ja die Desiderate, von denen immer zu hören ist.
Räume erschließen, Bubbles durchbrechen
Ja, seltsamerweise stellt sich niemand in dem Kürzungsfuror die Frage: Ist ein Kulturbudget überhaupt zu kürzen? Nicht nur in Zeiten wie diesen, wo die Leistung von Kunst eigentlich außer Frage stehen sollte, in enger werdenden Diskursräumen, wo es gerade darum geht, Erfahrungsräume zu erschließen, Bubbles zu durchbrechen, Kontakte herzustellen und Fragen eher aufzuwerfen als sie abzudichten, in diesen Zeiten kann es nicht sein, dass wir just an dieser Stelle sparen.
Nein, das Ergebnis einer Kürzung wäre Kahlschlag. Es entstünden Lücken und Löcher, die nicht wieder so leicht zu schließen sind. 15 oder 17 Prozent mögen in vielen Ohren nicht viel klingen, aber sie bedeuten in einer ohnehin knapp ausgerichteten Förderung, dass Dinge gar nicht mehr realisiert werden, Künstler:innenbiographien abgebrochen oder unterbrochen werden, Netzwerke irreparabel beschädigt. Dass die Übernahme von Bildungsaufgaben, die tatsächlich von prekär beschäftigten Künstler:innen übernommen werden, nicht mehr möglich ist, weitere Plattformen verschwinden. Und damit auch Freiräume für den Nachwuchs. Wir brauchen Veranstaltungsreihen, Gemeinschaftsausstellungen, der Betrieb von kleineren und größeren off-Spaces, Ateliers, Probenräume etc. Dies alles steht zur Disposition.
Minimalforderung an die Politik
Ich bin nach Köln gekommen, als die Stadt wieder künstlerischen Zulauf bekommen hat. Die Literaturszene ist im Aufwind, immer mehr Programme starten, ob Land in Sicht, Auswärtslesungen, Ohne Pronomen, insert female artist, Sommerblutfestival, Hörspielwiese, an Orten wie dem Kulturbunker Mülheim, der Alten Tankstelle Deutz, dem Bunker in Ehrenfeld, dem freien Werkstatttheater, der Commedia, dem Stadtgarten, der Orangerie, dem Kulturraum 405, der temporary gallery, Traumathek, der Rhenania, dem Literaturhaus und dem Schreibraum, den Ehrenfeldstudios usw., hoffen wir, dass das noch so bleiben kann.
Nein wir hoffen nicht, diese Stadt muss sich das leisten. Es ist eine Minimalforderung an die politisch Verantwortlichen, wenn sie ihre Verantwortung ernst nehmen.
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