
Issey Miyake (1938-2022) hat so ziemlich alle großen Kulturpreise seiner japanischen Heimat erhalten. Nicht für Dichtung, nicht für Komposition, nicht für architektonische Entwürfe – sondern für sein Modedesign. Den staatlichen Kulturorden (bunka kunsho), der an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich in besonderem Maße um die japanische Kultur verdient gemacht haben, erhielt er 2010. Zuvor gab es unter anderem den Kyoto-Preis (2006), den Praemium Imperiale (2005) und den vom Kaiser verliehen Kulturorden (1998).
Brief an die „Welt Design Konferenz“ von 1960
Noch als Student kritisierte er im Jahre 1960 in einem Brief an die „Welt Design Konferenz“ in Tokio, dass diese das Fach Mode völlig außer Acht lasse (was zu einer sich windenden Antwort der Veranstalter führte). Issey Miyake selbst hat dann durch seine Kunst erheblich dazu beigetragen, dass Mode in Japan einen hohen Stellenwert hat– wie es die Kulturpreise belegen, die ihm zugesprochen wurden.
Midori Kitamura, die fast 50 Jahre mit Issey Miyake zusammengearbeitet hat, ist nun Herausgeberin eines Prachtbands im Taschen-Verlag, der das Werk ihres Landsmanns vor Augen führt. Zahlreich sind die Abbildungen, und ergiebig ist der Text, den Kazuko Koike beisteuert.
Plisseefalten, bitte!
Nicht das Privatleben spielt darin eine Rolle. Auch nicht das Überleben in Hiroshima, wo Issey Miyake geboren wurde. Durch den Abwurf der Atombombe erlitt seine Familie große Verluste. Er selbst laborierte, als Folge der Strahlung, an einer Knochenkrankheit. Doch nein, im Zentrum steht hier ganz klar das Modekunstwerk.
Das Buch schreitet streng chronologisch voran. Zunächst werden die einzelnen Werkphasen zusammengefasst, sodann folgen detaillierte Jahr-für-Jahr-Einblicke. Von der Gründung des Miyake Design Studios im Jahre 1970 in Tokio über das umweltfreundliche „A Piece of Cloth-Konzept“ (bei dem die Kleidung aus einem Schlauchstoffstück gefertigt wird) und die „Body Series“ (eine Art zweiter Haut) bis zum Erfolg mit „Pleats Please“.


Mode für „unabhängige Frauen“
Erstmals präsentierte Issey Miyake seine plissierte Faltenkunst 1990 in der Ausstellung „Energieen“ im Stedelijk Museum in Amsterdam. In der Show, in der er als einziger Modemacher neben dem Bildhauer und Maler Anselm Kiefer, dem Designer Ettore Sottsass und anderen mehr auftrat, breitete er die Stoffe auf dem Boden aus. Das führte wohl nicht selten zu der Frage: „Kann ich das auch tragen?“ Die Antwort lautete: Ja. So kam Issey Miyake über seine minimalistischen Plissee-Kreationen zum Ehrentitel „Meister der Falten“.
Issey Miyake hat sich angeblich nie offen dazu geäußert, für wen er seine Kleider entworfen hat. Doch schon früh sei klar gewesen, lesen wir in dem Band, dass er die „unabhängigen Frauen“ in Japan im Blick hatte. Bei Issey Miyake handele es sich um einen Designer, „der seine Empathie für den Feminismus bereits zu einem Zeitpunkt unter Beweis stellte, als die Bewegung gerade erst an Bedeutung gewann“.
Frauenrechtlerin als Model
So bat er 1974 die Feministin und Parlamentsabgeordnete Fusae Ichikawa (1893-1981), die mit Erfolg zunächst für Frauen in der Politik und dann für das Frauenwahlrecht gekämpft hat, als Model für eine neue Kollektion mitzuwirken. Mode sei nämlich nicht nur etwas für junge Frauen, schrieb er in einem Brief an die Politikerin; zudem lege er Wert darauf, dass seine Entwürfe angenehm zu tragen seien und sich dem Körper anpassten. Die nachfolgende Titelgeschichte in einem Foto-Magazin, in der Fusae Ichikawa die Kollektion präsentierte, soll große Beachtung erfahren haben.
Issey Miyaki war ein Mann der vielen Optionen. Er hat für William Forsythes Frankfurter Ballett Kostüme entworfen und sich für die Verhüllungskunst seiner Freunde Christo und Jeanne-Claude engagiert. Da fällt einem gleich ein Fun Fact ein, mit dem Autorin Kazuko Koike schon früh im Text aufwartet: „Bei dem Versuch, die Welt zu verstehen, in die Issey hineingeboren wurde, entdecke ich, dass Superman einer seiner Zeitgenossen war.“ Beide nämlich sind im Jahr 1938 auf unserem Planeten erschienen. Der eine im Comic, der andere in Japan. Das war Issey Miyake dann tatsächlich – ein „Superman“ der Mode.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir zahlreiche Beiträge zur Kunst in Japan veröffentlicht – zur Literatur (zuletzt HIER), zur Architektur (zuletzt HIER) und zur bildenden Kunst (zuletzt HIER).
Midori Kitamura (Hrsg.) und Kazuko Koike (Autorin): „Issey Miyake“, Taschen Verlag, englisch-japanische Ausgabe, 446 Seiten, 80 Euro.
