Leben, Liebe, Literatur: Dana Grigorceas sommersprossig leichter Künstlerroman „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“

An Liguriens Küste schreibt Heldin Dora ihren Roman. Foto: Bücheratlas/M.Oe.

Gleich zu Beginn des Romans „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ wird ein Grammofon in Gang gesetzt. Auf dem Teller liegt eine Platte von Sänger Eddie Cantor: „You’d Be Surprised“ (Du würdest überrascht sein). In dem Song von Irving Berlin wird ein Mann gefeiert, von dem es heißt: „He doesn’t look like much of a lover, / but don’t judge ab book by it’s cover.“ Man möge also nicht vom Äußeren eines Buches (oder Mannes) auf seinen Kern schließen. Allerdings – im Falle von Dana Grigorceas neuem Roman gibt das Cover schon die Richtung vor: Kunstvoll verwirbelte Puzzleteile fügen sich zu einem blauweißen Himmel, der gute Laune macht.

„Sie kleistern es schnell zusammen“

Tatsächlich hat die rumänisch-schweizerische Schriftstellerin einen Künstlerroman geschrieben, der mehr Facetten aufweist, als man auf den ersten Blick erkennen kann. Da ist zunächst einmal die Schriftstellerin Dora Marcu, die mit Sohn Loris und Kindermädchen Macedonia an Italiens ligurische Küste reist, um dort in schönster Lage ihren Roman über den Bildhauer Constantin Avis zu vollenden. Wie beeindruckend zügig ihr Werk voranschreitet, lesen wir sozusagen in dem Roman im Roman.

Auf dieser zweiten Ebene geht es darum, was Kunst und Kunsthandwerk unterscheidet. Denn die Statuette, die Doras Romanheld Constantin Avis bei seiner Ankunft im New York der 1920er Jahre im Gepäck hat, wird von der Zollbehörde zunächst einmal als gewöhnliche Handelsware betrachtet. Dass der Künstler dann selbst zum Kunsthandwerker wird, indem er eine Frauenstatuette für eine Filmproduktion liefert, ist dabei eine amüsante Pointe. Der wenig sensible Auftraggeber sagt es frei heraus: „Sie kleistern es schnell in Pappmaché zusammen und wir sagen, es sei Onyx.“

„Auch das hatte seine Melodie“

Bei alledem verbindet Dora ihr Dasein mit ihrer Dichtkunst. Aus dem eigenen Alltag schöpft sie Anregungen für den Roman. Sie ist halt immer im Dienst der Kunst unterwegs: „Die gelben Vorhänge könnte sie in den Roman einbauen, gelbe Vorhänge im frischen Fahrtwind…“ Das führt zu schönen Spiegelungen von Doras Leben in dem ihres Helden, auch in Liebesdingen. Und selbst ein italienischer Fluch („Ma vaffanculo, leckt mich doch am Arsch!“) findet Doras ästhetische Aufmerksamkeit: „Auch das hatte seine Melodie, eine, paradoxal zum Inhalt, aufstrebende. Das passte zu Doras Auffassung von Sprache und Literatur.“

Allerdings ist „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ keine anstrengende, sich um 1001 Ecken windende Literaturliteratur. Schon gar nicht ist es ein Oberseminar für Kunsttheoretiker. Vielmehr handelt es sich um eine sympathisch sommersprossige Geschichte, die zwischen den 1920er Jahren und der Gegenwart pendelt und beide Erzählstränge locker und subtil verbindet.

„Wozu Kunst?“

Wie Constantin Avis – der mit deutlichen Verweisen auf den rumänisch-französischen Bildhauer Constantin Brancusi (1876-1957) versehen ist – auf dem harten Boden der amerikanischen Realität landet, ist erfrischend beschrieben. Dass gerade zu jener Zeit der Tonfilm den Stummfilm vom Thron stürzt, sorgt für zusätzliche Farbtupfer. Und in der Gegenwart sind die Sorgen der Schriftstellerin Dora überschaubar. Zwar ist es eine Herausforderung, der Mutterrolle gerecht zu werden und das ambivalente Verhältnis zum Partner Regis zu klären. Doch im Hintergrund glitzern die Mittelmeerwellen.

Dana Grigorcea ist vor drei Jahren mit dem Roman „Die nicht sterben“ (HIER) in die historisch-mythologischen Tiefen ihrer rumänischen Heimat hinabgestiegen, zu Dracula und Ceausescu. In „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ leuchtet der Horizont nun deutlich heller. „Wozu Kunst?“ lautet einmal die schlichte Frage. Sicher auch, um eine solch ligurisch entspannte Geschichte über Kunst und Leben zu erzählen.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wird Dana Grigorceas Roman „Die nicht sterben“ HIER vorgestellt.

Lesungen

aus dem neuen Roman mit Dana Grigorcea zwischen dem 21. Und dem 24. März 2024 fünfmal auf der Leipziger Buchmesse, danach am 2. April in Zürich (mit Ehemann Perikles Monioudis), 4. April in St. Gallen, 9. April erneut in Zürich, 11. April in Hamburg, 12. April in Innsbruck, 21. April in Altdorf, 7. Mai in Fulda, 14. Mai ein weiteres Mal in Zürich und am 16. Mai 2024 in Frankfurt am Main.

Dana Grigorcea: „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“, Penguin Verlag, 224 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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