
Die globale Verdunkelung beginnt mit dem Smog über Iowa. Der wird immer dichter und breitet sich stetig weiter aus. Darüber vergeht der Sonne das Scheinen und den Pflanzen das Grünen. Eine weltumspannende Katastrophe. Da rette sich, wer kann. Doch nur einige wenige können es, „Öltycoons und Tech-Millionäre“, die ausreichend Geldmittel haben, um sich auf einem Berg in Norditalien einzumieten. Dort wird gebunkert, was die Welt einst zu bieten hatte. Keine Delikatesse bleibt außen vor. Und wer steht in dieser Milliardärs-Enklave am Herd? Die 29 Jahre alte Ich-Erzählerin aus dem Roman „Wo Milch und Honig fließen“.
Waldbrand und Pandemie kombiniert
Diese Dystopie ist der zweite Roman von C Pam Zhang, die wie ihre Hauptfigur in Peking geboren wurde und in den USA aufgewachsen ist. Damit wagt sie den literarischen Zeitensprung aus der Vergangenheit in die Zukunft. Denn ihr Debütroman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ (eine Besprechung auf diesem Blog gibt es HIER) erzählte eine rundum faszinierende Identitäts-Geschichte aus dem Wilden Westen.
Nun geht es über die Gegenwart hinaus zu einem Setting von ausgefeilter Bizarrerie. Inspiriert wurde es, sagt C Pam Zhang in einem Interview mit der amerikanischen „Elle“, von der Pandemie und den Waldbränden in Kalifornien.
Wollhaarmammut auf der Speisekarte
So diktieren Smog und Isolation das Romangeschehen. Auf die Köchin des superexklusiven Oase kommt einiges zu. Die ungewöhnlichen Speisewünsche, mit denen sie auf dem Berg konfrontiert wird, sind dabei noch das geringste Problem. Selbst Wollhaarmammut kriegt sie hin. Stressiger ist, dass sie vom Herrscher dieses grünen Hügels aufgefordert wird, gegenüber den Gästen als seine verschwundene, stets in Weiß gekleidete Ehefrau Eun-Young aufzutreten. Die namenlose Frau sagt: „Ich verkaufte mein Ich.“ Und schließlich ist da noch ihre wackelige Liebesbeziehung zu Aida, der Tochter des Hausherrn.
Während sich die Masse der Menschheit, so sie noch nicht gestorben ist, von Mungoprotein-Soja-Algenmehl ernährt, wird auf dem Berg geschlemmt. Kulinarisch interessierte Leserinnen und Leser werden diesen Roman als Fundgrube zu schätzen wissen. Hier werden keine Rezepte, aber doch viele Anregungen vermittelt. Da wird die Nussbutter, die Erinnerungen freisetzt, ebenso gefeiert wie das Essen, „das in anderes Essen eingewickelt ist.“ Diesen Roman zu schreiben, muss für C Pam Zhang ein schmackhaftes Vergnügen gewesen sein – dafür spricht auch, dass sie in ihrer Danksagung zahlreiche Essensfreuden in Edel- und Schnellrestaurants anführt.
„Er hatte einen Riecher für Mangel“
Der Hausherr hatte sein unvorstellbar großes Vermögen einst „mit IV-Infusionen gemacht, die er im Verlauf mehrerer Pandemien mit hohem Aufschlag weiterverkauft hatte.“ Später erzielt er Gewinne mit Getreidereserven in einer Hungersnot und mit Strom während eines Winters voller Schneestürme. „Er hatte einen Riecher für Mangel und bevorstehendes Unglück“, lesen wir. „Wo Milch und Honig fließen“ ist nicht zuletzt ein Roman, der nach der Moral in Zeiten der Not fragt.
Dass der Zufluchtsort nicht sofort vom Rest der Welt gestürmt wird, liegt daran, dass er als „Spitzenforschungsgemeinschaft“ ausgewiesen ist. Hier wird an Pflanzen und Tieren experimentiert, mit denen man die düstere Gegenwart und Zukunft meistern will. Der Betreiber dieser modernen Arche Noah gibt sich als Weltenretter aus, aber hat wohl doch nur die eigene Haut im Sinn. Die Einrichtung steht unter dem Schutz des italienischen Staates – nicht allein wegen der Forschung, sondern auch wegen der erheblichen Bestechungsgelder, die entrichtet werden.
Entspannung ohne Entwarnung
Der Plot, nämlich die Geschichte der Köchin auf einer Rettungsinsel für Superreiche, ist originell konzipiert. Doch merkwürdigerweise blüht der Roman auf dieser Basis nicht richtig auf. C Pam Zhang bringt vieles zur Sprache. Das Spektrum reicht von der Klimakrise über Genusssucht und Machtmissbrauch, Identität und Rassismus bis zur Apokalypse. Das ist alles aktuell. Allerdings hätte eine stärkere Fokussierung dem Roman vermutlich gutgetan. Auch kommen einem die handelnden Personen selten nahe, sondern wirken zuweilen wie Aliens aus dem Schreiblabor.
Dennoch ist das ein Stoff, der in unsere Zeit passt. Ganz ohne Frage. Und der Roman meint es gut mit uns. „Wo Milch und Honig fließen“ beginnt gespenstisch im Smog von Iowa (wo C Pam Zhang ein Schreibstipendium wahrgenommen hat). Doch die Autorin gönnt der Welt, wie wir sie kennen, ein Comeback. Damit wird der Leserschaft eine Entspannung beschert – aber keine Entwarnung.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir C Pam Zhangs feinen Debütroman „Wieviel von diesen Hügeln ist Gold“ HIER besprochen.
C Pam Zhang: „Wo Milch und Honig fließen“, dt. von Eva Regul, S. Fischer, 272 Seiten, 24 Euro: E-Book: 19,99 Euro.

Das Buch interessiert mich sehr. Ich werde es mir vormerken. Danke!
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Eine spannende Autorin. Auch der Vorgängerroman lohnt sich. Viel Spaß bei der Lektüre! Und Dank fürs Feedback!
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