
Wer auf Sand baut, hat sich eine spannende Basis ausgesucht. Das bezeugt eine Ausstellung der „Stiftung Kunst und Natur“ im Museum Sinclair-Haus im hessischen Bad Homburg. Im Mittelpunkt stehen die Werke von 16 Künstlerinnen und Künstlern, die sich dem Sand widmen. Dabei konzentrieren sie sich auf die Facetten „Ressource – Leben – Sehnsucht“. Mit dabei sind Yann Arthus-Bertrand, Ole Bielfeldt, Ferhat Bouda, Edward Burtynsky, Andreas Gursky, Jochem Hendricks, Irenaeus Herok, Laurent Mareschal, Vik Muniz, Jenny Natusch, Jacques Pugin, Sim Chi Yin, Micha Ullman, Julia Willms & Andrea Božić und Stefanie Zoche.
Zumal der steigende Bedarf nach Sand wird in den ausgestellten Kunstwerken einige Male offensichtlich – so beim Versuch, künstliche Inseln im Meer zu schaffen. In Dubai, so lesen wir im Katalog aus dem Hirmer Verlag, ist das schiefgegangen. Das Projekt „The World“, für das 300 Inseln aus Sand aufgeschüttet wurden, „befindet sich inzwischen im Verfall“: „Das Meer trägt den Sand der Inseln nach und nach wieder ab und führt ihn zurück in den natürlichen Kreislauf.“ Dazu gibt es Fotografien von Yann Arthus-Bertrand („Dubai, Archipel artificiel, The World“) und Andreas Gursky („Dubai World“), die in attraktiven Farben den menschlichen Größenwahn vor Augen führen.
Wüstensand ist nichts für Beton
„Der Welt geht der Sand aus“, heißt es im Beitrag zu Sim Chi Yins Foto-Projekt „Shifting Sands“. Woran das liegt, ist klar: Es wird gebaut, als wäre die Ressource unerschöpflich. Die Nachfrage nach Sand steige von Jahr zu Jahr, schreibt Fritz Habekuß in seinem Essay. Besonders begierig seien China, Indien und einige afrikanische Länder. Das Problem der Bauindustrie: Sand ist nicht gleich Sand. Wüstensand eignet sich nicht für Beton, weil dessen Körner zu glatt sind. Am besten ist man mit Flusssand bedient.
Wie wertvoll Sand ist, veranschaulichen die Arbeiten von Jochem Hendricks, denen Witz und Fleiß im gleichen Maße eigen sind. Er hat Sandkörner zählen lassen und diese anschließend in Glasbehälter eingefüllt. Daraus entstanden die Arbeiten „6.128.374 Sandkörner“, „9.114.182 Sandkörner“ und „1.245.215 Sandkörner.“ Schön ist die Auskunft des Künstlers zum Zählverfahren: „Man fängt etwas an, das vollkommen verblödet ist – man zählt Sandkörner. Ich habe natürlich versucht, den Assistenten zu erklären, warum sie das machen. Das haben auch alle verstanden, aber wenn du eine Stunde Sandkörner gezählt hast, vergisst du jede Erklärung.“

Der Sternensand von Okinawa
Noch genauer schaut Jenny Natusch hin. Sie legt Mikrofotografien vor, die die Vielfarbigkeit und vor allem die Vielgestaltigkeit von Sandkörnern aufzeigen. Mal glaubt man, auf einen pinkfarbenen Berghang zu blicken, auf einen Stern, einen Edelstein oder einen außerirdischen Strohhalm. Der Sternensand von Okinawa ist eine besondere Attraktion. Er verdankt sein Erscheinungsbild, heißt es im Katalog, „den Exoskeletten abgestorbener Protisten“, womit mikroskopisch kleine Lebewesen gemeint sind. Anschließend ist man überzeugt: Wer das Sandkorn nicht ehrt, ist des Strandes nicht wert.
Der Katalog zur Ausstellung, den die Stiftung Kunst und Natur herausgegeben hat, macht Lust auf mehr. Seine Bilder und Texte sind ein attraktiver und sanfter Einstieg in einen gewaltig großen Themenkreis. Denn es ist ja klar: Sand hat beinahe so viele Facetten wie Körner im Rhein.
Martin Oehlen
Die Ausstellung
„Sand – Ressource, Leben, Sehnsucht“, die Moritz Ohlig kuratiert hat, ist bis zum 11. Februar 2024 im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg v. d. H. zu sehen.
Das Cover-Bild
stammt von Ferhat Bouda und zeigt ein Kind in einer Siedlung nahe der Stadt Chinguetti in Mauretanien (2018). © Ferhat Bouda, Agence VU, 2023
„Sand – Ressource, Leben, Sehnsucht“, hrsg. von der Stiftung Kunst und Natur, Hirmer, 120 Seiten, 30 Euro.
