„1,7 Quadratmeter in bester Lage“ – „Eigentum“ von Wolf Haas ist ein tragikomischer Mutter-Sohn-Roman

Foto: Bücheratlas

Es beginnt mit einem Ärgernis. Marianne Haas bittet den Sohn, ihren Eltern mitzuteilen, dass es ihr gut gehe. Der Sohn ist, wie er bekennt, „angefressen“. Nicht, weil die Eltern der Mutter, also seine Großeltern, schon vor einiger Zeit verstorben sind. Vielmehr hat die Mutter ein langes Leben lang behauptet, dass es ihr schlecht gehe. Jetzt ist sie 94 Jahre alt, geistig „nicht mehr ganz da“, wird in drei Tagen sterben und sagt: Mir geht es gut.

Fakt und Fiktion

Dem Erzähler, der nicht ganz zufälligerweise den Namen des Romanautors trägt („der Wolfi“), gibt das zu denken, ja, zu schreiben. Eigentlich müsste er sich um die Vorbereitung einer Poetikvorlesung kümmern, zu der ihm immerhin schon ein Titel eingefallen ist: „Kann man vom Leben schreiben?“ (ausgehend von der Leserschaftsfrage: „Kann man vom Schreiben leben?“).

Stattdessen entsteht ein kurzer, schneller, süffig-schöner, tragikomischer Roman: „Eigentum“ von Wolf Haas. Und en passant schleicht sich auch noch der eine oder andere Gedanke ein, der sich für die Poetikvorlesung verwenden ließe: Wie trügerisch ist die Erinnerung, wie sehr darf man den Fakten mit der Fiktion aufhelfen?  

„sparen, sparen, sparen“

Wolf Haas ist vor allem mit seinen Brenner-Krimis bekannt geworden, aber auch mit „Das Wetter vor 15 Jahren“ und „Verteidigung der Missionarsstellung“. „Eigentum“ ist jetzt sein erster Roman im Hanser-Verlag.

Der Titel verweist auf das zentrale Streben der Mutter, irgendwann einmal eigenen Grund zu besitzen. Doch immer kommt etwas dazwischen, die Inflation oder die Marktlage. Noch und nöcher konnte man „arbeiten, arbeiten, arbeiten“ oder auch „sparen, sparen, sparen“ – aber es reichte doch nie. Es ging der Mutter und der Familie eben nicht so gut, als dass man sich mehr als das Notwendige hätte leisten können. Vielleicht ist das die Ursache dafür, dass die Mutter es „mit den Leuten“ nicht so gut konnte.

„Es is Kriag“

Der Wiener Schriftsteller mischt die Erzählung seines Protagonisten Wolfi mit den Erinnerungen der Mutter auf. Diese Passagen lesen sich, als wären sie aufgezeichnet worden. Ein Dokument der mündlichen und mundartlichen Rede, gespickt mit „gell“ und „nit“. Geschichten von Arbeitsdienst und Flugwache, denn „es is Kriag“, dann aus der Hotelfachschule und aus Hotels in Schweiz und Österreich. Entbehrung statt Vergnügen – so lief es ab.  

„Eigentum“ ist ein gleichermaßen anrührender wie amüsanter Roman. Recht schroff präsentiert sich der Ich-Erzähler zuweilen. Doch im Herzen und im Buch, so lesen wir seine Zeilen, pocht die Sohnesliebe. Als es am Ende darum geht, ob es ein Sarg oder eine Urne sein soll, steht sofort fest: Die Mutter soll endlich ihr eigenes Grundstück haben – und sei es nur so groß wie ein Friedhofsgrab klein ist. „Die 1,7 Quadratmeter in bester Lage standen ihr zu, platzsparende Konzepte sollen andere umsetzen.“

Martin Oehlen

Wolf Haas. „Eigentum“, Hanser, 160 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

3 Gedanken zu “„1,7 Quadratmeter in bester Lage“ – „Eigentum“ von Wolf Haas ist ein tragikomischer Mutter-Sohn-Roman

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