„Vergessen Sie diese Zugfahrt“: Einmal mit der Deutschen Bahn von Köln (beinahe) bis Norddeich Mole und zurück – Ein Erlebnisbericht

Auf Juist fährt die Deutsche Bahn nicht. Foto: Bücheratlas

Vor kurzem war mir nach Abenteuer. So beschloss ich, von Köln nach Juist zu fahren – mit dem 49-Euro-Ticket der Deutschen Bahn. Ich veranschlagte drei Tage für die Anreise. Es war eine weise Entscheidung.

Donnerstag, 9.21 Uhr: Abfahrt in Köln nach Münster mit dem RE7. Angezeigte Verspätung: 15 Minuten. 27 Minuten nach diesem Zug soll am selben Gleis ein ICE nach Berlin abfahren. Angezeigte Verspätung: 20 Minuten. Leises Murren unter den Fahrgästen.

„Wir bitten um Ihr Verständnis“

Gleis 2 füllt sich, überall Koffer, Menschen mit langen Gesichtern. Die Anzeigentafel regt sich. Circa 20 Minuten Verspätung für den RE7, 40 für den ICE nach Berlin. Ich warte. Trinke lauwarmen Kaffee aus einem pappigen Becher. Wieder rührt sich die die Anzeigentafel. Circa 25 Minuten Verspätung für den RE7. Ich schütte den restlichen Kaffee auf die Gleise. Warte. Krame ein Buch hervor.  

Endlich kommt der RE7. Ich stürze los, benutze auf dem überfüllten Bahnsteig meine Tasche als Rammbock, trete ein paar Koffer beiseite. Was, wenn er abfährt, bevor ich drin bin?  

Umsteigen in Münster. Nächstes Ziel: Leer. Abfahrt auf Gleis 2 um 12.05 Uhr. Keine Zeit mehr für den nächsten Kaffee. Doch halt, eine Durchsage! „Der Zug nach Emden über Leer hat circa 20 Minuten Verspätung. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Ich halte inne, gönne mir einen Macha Latte im Schnellimbiss.  Und höre die nächste Durchsage: „Der Zug nach Emden hat circa 40 Minuten Verspätung. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

„Ist zurück höchstens ein Kilometer“  

In Leer nehme ich einen Bus. Ich will im Ort übernachten und am nächsten Morgen weiterfahren nach Norddeich. Die Busfahrerin wird mir Bescheid sagen, wenn ich aussteigen muss. Wir fahren los, sie telefoniert. Der Lautsprecher ihres Smartphones ist auf laut gestellt. Ich schaue aus dem Fenster, es geht vorbei an kleinen Geschäften und putzigen Fachwerkhäusern. Die Busfahrerin telefoniert. Es geht vorbei am Friedhof. Die Busfahrerin telefoniert. Es geht vorbei an meiner Pension. „Halt“, rufe ich. Die Busfahrerin unterbricht ihr Telefonat. „Sorry“, sagt sie. „Ist es okay, wenn ich Sie eine Station später rauslasse? Ist zurück höchstens ein Kilometer.“  

Am Freitag dauert die Fahrt von Leer nach Emden 16 Minuten. Dort Umstieg nach Norddeich. Ich ziehe den Koffer über eine Brücke zum Abfahrtsgleis. Durchsage: „Das Gleis hat sich geändert.“ Also zurück. Dann die nächste Durchsage: „Der Zug nach Norddeich Mole hält heute nicht in Norddeich. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Kein Problem, die Pension in Norddeich kann ich auch von der nächsten Station aus erreichen.

Noch eine Durchsage: „Der Zug hat etwa 20 Minuten Verspätung. Wir bitten…“  Der Zug – ein IC, den man auf diesem Streckenabschnitt auch mit dem Regionalticket benutzen darf – ist brechend voll. Und hat inzwischen 30 Minuten Verspätung. Ich setzte mich in den Gang vor die Toilette. Die Toilette ist außer Betrieb. „Wir bitten um ihr Verständnis.“

Dann, am nächsten Tag, die Fähre, dann Juist, der Strand, das Meer, der Himmel – also die Erholung.

„Der ICE ist ersatzlos gestrichen“

Die Rückreise trete ich mit dem ICE von Norddeich Mole an. Abfahrt 17.58 Uhr auf Gleis 1, Ankunft in Köln 22.15 Uhr an Gleis acht. Kurz vor dem Anlegen der Fähre in Norddeich Mole eine Lautsprecherdurchsage: „Der ICE nach Köln ist ersatzlos gestrichen.“ Personenschaden. Okay, dafür kann die DB nichts, zur Not übernachte ich in Norddeich.

Aber dann steht auf Gleis 1 ein Regionalzug nach Leer. Von dort aus soll uns ein ICE nach Köln bringen. Avisierte Ankunftszeit: Immer noch gegen 22.15 Uhr. Ich streiche Norddeich als Übernachtungs-Option und steige ein. In viereinhalb Stunden bin ich zu Hause.

In Leer steht allerdings kein ICE bereit. Er hat Verspätung. Wie lange, kann niemand sagen. Als er endlich kommt, sinke ich auf meinen Sitz. Zum Glück habe ich drei Flaschen Wasser und zwei Brötchen dabei. Die Landschaft fliegt vorbei. Grüne Wiesen, geduckte Gehöfte. Schon bald sind wir in Münster. Mit Verspätung, ich erwähnte es schon.

In Münster stehen wir auf Gleis 2. Wir stehen sehr lange auf Gleis 2. Endlich eine Durchsage. In Münster wechsle das Zugpersonal. Leider habe ein vorangegangener Zug eine Stunde Verspätung. Und in dem befinde sich das sehnsüchtig erwartete Personal. „Wir bitten…“

Das ist nur ein Zwischenstand an Gleis acht (aus dem später Gleis sechs wird). Foto: Bücheratlas

„Wir haben derzeit keinen Lokführer“

Wir warten. Wir warten fünf Minuten. Zehn Minuten. 20 Minuten. Nächste Durchsage: „Es tut uns leid, aber wir haben derzeit keinen Lokführer und können daher nicht weiterfahren.“ Ich erwäge nun, in Münster zu übernachten und prüfe schon mal, ob sich überhaupt die Türen öffnen lassen.

Nächste Durchsage: „Es gibt zwei Nachrichten, eine gute und eine schlechte. Die gute: Unser Lokführer ist eingetroffen. Die schlechte: Die Strecke ist wegen einer Schlägerei von Fußballfans vorübergehend gesperrt. Wann die Sperrung aufgehoben wird, können wir nicht sagen.“ Ich werde wohl im Zug übernachten.

Doch es geht weiter. Gefühlt: im Schritttempo. Wir haben mittlerweile 60 Minuten Verspätung und können laut Durchsage nicht schneller fahren, weil vor uns zwei ebenfalls verspätete Züge die Strecke blockieren. „Es kommt daher zu leichten Verzögerungen. Wir bitten…“ Irgendwann halten wir auf freier Strecke. Mir ist entfallen, warum.

„Wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen“

In Dortmund legen wir einen Stop ein, der im Fahrplan nicht vorgesehen war. Es ist 22.35 Uhr. Alle weiteren Stationen seien gestrichen, scheppert es aus dem Lautsprecher. „Der Zug fährt ohne Halt durch bis Köln. Wir bitten alle Fahrgäste, die nach Gelsenkirchen, Oberhausen, Duisburg oder Düsseldorf wollen, auszusteigen.“

Ich verkürze die Geschichte. Sie ist lang genug. Gegen 23.45 Uhr komme ich in Köln an. Mit fast 90 Minuten Verspätung. Kurz vor der Einfahrt – nicht an Gleis acht, sondern an Gleis sechs – eine letzte Durchsage: „Vergessen Sie diese Zugfahrt.“

Petra Pluwatsch

6 Gedanken zu “„Vergessen Sie diese Zugfahrt“: Einmal mit der Deutschen Bahn von Köln (beinahe) bis Norddeich Mole und zurück – Ein Erlebnisbericht

  1. Wow, was für eine abenteuerliche Zugreise! 😅 Dein Bericht hat mich echt zum Schmunzeln gebracht, obwohl ich mir vorstellen kann, dass die Verspätungen und Pannen sicherlich nervenaufreibend waren. Aber du hast die ganze Odyssee so humorvoll beschrieben, dass man fast vergisst, wie stressig das Ganze sein muss.

    Ich musste besonders über die Durchsagen der Deutschen Bahn schmunzeln – „Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Das scheint ja das Leitmotiv deiner Reise gewesen zu sein! Aber am Ende des Tages hast du es mit Geduld und einem guten Sinn für Humor durchgestanden. Und die Erholung auf Juist klingt einfach traumhaft.

    Danke fürs Teilen deines Abenteuers, und ich hoffe, deine nächsten Reisen verlaufen etwas reibungsloser. 😉🚂🌴

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