Auf der Flucht in Wien gestrandet: Amir Gudarzi erzählt in „Das Ende ist nah“ ein dramatisches Kapitel aus seinem Leben

Die Dom- und Metropolitankirche zu St. Stephan und allen Heiligen in Wien  Foto: Bücheratlas

Ein Heimatloser ist A., ein Mann ohne Geld, ohne Freunde und ohne Job. A. ist ein Flüchtling aus dem Iran, 23 Jahre alt, gestrandet in Österreich, wo ihn niemand willkommen heißt. „Du siehst anders aus, du empfindest selten Freude, du bist einsam, du bist abhängig, du bangst um dein Land, du bangst um deine Zukunft, um deine Eltern, du hast Angst, abgeschoben zu werden, du hängst in der Luft, du bist in einem Transitzustand, der lange dauern kann“, umreißt er seine Lage. „Du bist erschöpft, du bist am Ende. Aber du musst trotzdem weitermachen, weiterkämpfen.“

Der Terror in Teheran

Amir Gudarzi, 1986 in Teheran geboren, lebt seit 2009 in Österreich und hat sich in seiner neuen Heimat bereits als Dramatiker einen Namen gemacht. Unter anderem erhielt er den Förderpreis für Literatur der Stadt Wien und den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker. „Das Ende ist nah“ ist sein erster Roman und war nominiert für den lit.Cologne-Debütpreis 2023 (den Esther Schüttpelz für ihr Buch „Ohne mich“ erhielt, das wir auf diesem Blog HIER besprochen haben).

„Das Ende ist nah“ ist ein autofiktionales Werk, das mit schmerzvoller Eindringlichkeit vom Überlebenskampf des Flüchtlings A. erzählt, von der Verlorenheit und der ihn umgebenden Gewalt. In Teheran hatte er szenisches Schreiben studiert und sich mit regimekritischen Stücken unbeliebt gemacht. Als sein Vater festgenommen wird, um ihn, den Sohn, unter Druck zu setzen, beschließt A. zu fliehen. Mit einem gefälschten Reisepass versucht er nach Kanada zu reisen, aber strandet in Wien.

„Ich habe mich verloren“

Nachdem sich seine Pläne, nach Kanada zu gehen, zerschlagen haben, beantragt er in Österreich Asyl. Dabei gerät er in die Mühlen einer gnadenlosen Bürokratie. „Nun, wo ich durch Sprach- und Statusverlust zu einem Nichts geworden bin, habe ich mich verloren“, klagt er. Er leidet unter Depressionen und weiß doch, dass das Leben im Iran nicht besser war als sein gegenwärtiges.

Manchmal liegt er ganze Nächte wach, weil ihn die Erinnerungen an die Gewalterfahrungen in seiner Kindheit und Jugend quälen. An den prügelnden Vater und die brutalen Straßengangs in seinen Viertel, das zu den ärmsten in Teheran gehört, und an die Vergewaltigungen von jungen Männern, die auf diese Weise gefügig gemacht werden sollten. Als Student ist er mitmarschiert bei den Demonstrationen gegen das Mullah-Regime und musste erleben, wie ein junger Mann neben ihm erschossen wurde.

Ist Österreich ein großes Schönbrunn?

Auch in den österreichischen Asylunterkünften regieren Hass und Gewalt. Afghanen gegen Iraner, Kurden gegen Türken, dazu eine Bevölkerung, die die Fremden vor allem als Gefahr wahrnimmt. „Sie denken, dass Österreich ein großes Schönbrunn ist, das den wilden, primitiven, stinkenden Tieren ein Obdach anbietet. Wir sind wohl wie eine ansteckende Krankheit, deshalb soll man uns meiden.“

Seine einzige Vertraute ist die deutsche Studentin Sarah, selber eine Außenseiterin in Wien. Bald wird aus ihrer Freundschaft eine Liebesbeziehung, die nur wenige Wochen später mit Tränen und gegenseitigen Vorwürfen endet. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen aneinander, zu groß auch die Traumata, die Sarah und A. belasten, als dass sie einander Halt geben könnten.

Eine atemlose Erzählung

Selten wohl hat in der jüngsten Zeit ein Autor oder eine Autorin die Alltagserfahrungen von Flüchtlingen so radikal in Worte gefasst wie Amir Gudarzi. Die Sprache wirkt mitunter fast atemlos, und immer wieder wechselt die Erzählung von der Ich-Perspektive in die des jungen A. und die von Sarah.

Amir Gudaz schont dabei niemanden. Nicht das Regime in seinem Geburtsland, nicht seine Landsleute, mit denen er sich in Österreich die abgeranzten Asylunterkünfte teilt, nicht die Menschen in Europa, die einen wie ihn nicht haben wollen. Ein eindrucksvolles und mitunter verstörendes Debüt.

Petra Pluwatsch

Auf diesem Blog

haben wir den oben erwähnten Debütroman „Ohne mich“ von Esther Schüttpelz HIER besprochen.

Amir Gudarzi: „Das Ende ist nah“, dtv, 416 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,90 Euro.  

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