„Es brennt, Brüderlein, es brennt“: Reprint von Mordechai Gebirtigs bestürzendem Gedichtband aus dem Jahre 1946 kann kostenfrei bestellt werden

Foto: Bücheratlas/M.Oe.

Es ist nur eine schmale, keine 40 Seiten zählende Anthologie, die da im Jahre 1946 von der „Jüdischen Historischen Kommission in Krakau“ herausgegeben worden ist. Doch ihr Inhalt ist noch heute, bald acht Jahrzehnte später, eine bewegende und bestürzende Lektüre. Denn darin versammelt sind die späten Lieder und Gedichte von Mordechai Gebirtig (1877 – 1942). Sie stammen aus den Jahren 1938 bis 1942 – also aus der Zeit der Verfolgung und des Massenmords an Jüdinnen und Juden. Der Künstler selbst gehört zu denen, die den Holocaust nicht überlebt haben.

Draußen lachte der Teufel

Im Vorwort, das Josef Wolf im Oktober 1945 verfasst hat, wird darauf hingewiesen, dass Mordechai Gebirtig in seiner Stube Verse aneinandergefügt habe, während draußen „der Teufel“ gelacht habe. Weiter heißt es: „Wunderlich – wie viele unserer schöpferischen Kräfte haben ihren Kontakt mit Schönheit, Wahrheit und Glauben nicht abgebrochen in der Zeit, als das Höllengesindel über alles und jeden herrschte.“

Wie hoch die Auflage des Bandes „Es brennt“ war, ist ungewiss. Vermutlich betrug sie nicht mehr als 2500 Exemplare, vielleicht aber auch nur 500. Nun diente das fragile Exemplar eines Holocaust-Überlebenden aus Tel Aviv als Vorlage für einen Reprint, den das „Projekt 2025 – Arche Musica“ realisiert hat. Marian Benjamin Fritsch besorgte die Einführung und zumal die Übersetzung der auf Jiddisch verfassten und in hebräischer Schrift fixierten Gedichte.

Das Projekt „Arche Musica“

Das Ziel der deutsch-israelischen Initiative „Arche Musica“ ist es, „die nahezu vergessenen Kompositionen und Musikstücke aus der Zeit der jüdischen Emanzipation und des Holocaust, den Jahren 1890 – 1945, zu bewahren, zu digitalisieren und diese Handschriften und Musikstücke einem größtmöglichen Kreis an Menschen zu erschließen.“ So ist dieser Reprint kostenlos zu beziehen – die Angaben dazu finden sich am Ende des Artikels.

Mordechai Gebirtig wurde am 4. Mai 1877 in Krakau geboren. Den ersten Lyrikband veröffentlichte er 1920 unter dem Titel „Folkstimlech“. Sein bekanntestes Gedicht entstand 1938 als Reaktion auf Angriffe auf die jüdische Bevölkerung in Polen: „Es brennt“. Das Gedicht fordert die jüdische Bevölkerung auf, sich nicht tatenlos in ihr Schicksal zu fügen. Die letzten Verse lauten: „Es brennt, Brüderlein, es brennt, / die Hilfe hängt nur von euch selber ab / wenn euch das Schtetl teuer ist, nehmt die Schüsseln, löscht das Feuer, / löscht mit eurem eigenem Blut, beweist, dass ihr das könnt. / Steht nicht, Brüder, nur so rum mit verschränkten Armen, / steht nicht, Brüder, löscht das Feuer – unser Schtetl brennt!“

„Die Angst ist groß“

Das war der Appell aus dem Jahre 1938. Als dann Nazi-Deutschland in Polen einmarschierte, verschlechterte sich die eh schon schlechte Lage der Jüdinnen und Juden dramatisch. Zunächst musste Mordechai Gebirtig im Jahre 1941 sein geliebtes Krakau verlassen und zog in ein benachbartes Dorf. Von dort aus wurde er im folgenden Jahr ins Krakauer Ghetto deportiert. Im Gedicht vom Mai 1942 lesen wir: „So liegt man und die Angst ist groß / wenn man hört eine quietschende Tür, / es zittert das Herz, wenn vor Hunger eine Maus / nagt an einem Stückchen Papier.“

Nur wenige Monate verbrachte Mordechai Gebirtig im Ghetto. An dem Tag, an dem die Familie ins Vernichtungslager Belzec transportiert werden sollte, wurden Mordechai Gebirtig, seine Frau und ihre beiden Töchter auf dem Weg zum Bahnhof von deutschen Soldaten ermordet, am 4. Juni 1942.

„Hymne jüdischer Partisanen“

In seinen Gedichten verarbeitete Mordechai Gebirtig den Terror, dessen Zeuge und Opfer er war. Marian Benjamin Fritsch schreibt im Begleittext des Reprints: „Seine persönliche Erfahrung, die er in seinen Liedern und Gedichten ausdrückte, steht dabei exemplarisch für das Schicksal nicht nur der polnischen Jüdinnen und Juden jener Zeit.“

Vier Gedichte hebt der Herausgeber hervor. Vorneweg „Es brennt“ von 1938, „das während der Nazizeit zur inoffiziellen Hymne jüdischer Partisanen im Kampf gegen die deutsche Barbarei wurde.“ Dann „Es tut weh“ vom Februar 1940, worin der Schmerz deutlich werde, „den der wachsende Antisemitismus der nichtjüdischen Polen“ verursacht habe.

„Lebe wohl, Krakau“

Sodann nimmt Mordechai Gebirtig im Gedicht „Lebe wohl, Krakau“ Abschied von seiner Heimatstadt und vom Grab der Mutter. Mit diesen Versen beginnt der Text: „Lebe wohl, Krakau! lebe mir recht wohl. / Es wartet der Karren schon bespannt vor meinem Haus, / es treibt der wilde Feind, wie man einen Hund vertreibt, / mit Grausamkeit mich aus dir heraus.“ Schließlich noch das vierte Gedicht: „Ein Tag der Rache“ (Januar 1942). Es zeige, dass sich der Autor trotz aller Verzweiflung die Hoffnung auf Rettung bewahrt habe.

Die nun neu aufgelegten 17 Gedichte (und drei Notenblätter) sind nicht nur ein eindrucksvolles Zeit- und Lebenszeugnis, geprägt von Trauer, Mut und Durchhaltewillen. Überdies ist der Band heute auch als Mahnung zu verstehen, wie Marian Benjamin Fritsch schreibt, „das Geschehene nicht zu vergessen“ und „in der Wachsamkeit gegenüber antisemitischen und antidemokratischen Tendenzen nicht nachzulassen.“

Martin Oehlen

Der Editionsplan

Bei dem Band „Es brennt“ von Mordechai Gebirtig handelt es sich um die zweite Veröffentlichung des Projekts „Arche Musica“. Es liegt bereits das „Jüdisch-deutsche Liederbuch von 1912“ vor, das Abraham Zvi Idelsohn (1882–1938) zusammengestellt hatte. Noch in diesem Jahr, so sagt es Thomas Spindler von „Arche Musica“, sollen zwei weitere Titel erscheinen: „Das wunderbare Werk ‚Die schönsten Lieder der Ostjuden‘, 1920 vom Jüdischen Verlag Berlin herausgegeben, wird die nächste Veröffentlichung sein. Dann folgt das letzte Werk des Anton J. Benjamin Verlages aus Leipzig, der 1935 von den Nazis arisiert wurde. Das Werk trägt den Titel ‚Hava nashira- auf lasst uns singen‘.“

Der kostenfreie Reprint

von „Es brennt“ kann von Privatpersonen ebenso wie von Schulen oder Bildungseinrichtungen bezogen werden. Und zwar telefonisch oder per Mail über Thomas Spindler vom „Projekt 2025 – Arche Musica“: Tel.  0049-9505-8060371 oder Mail thomas.spindler@projekt-2025.de

 

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