
Gute Stimmung herrscht 1956 in der Schokoladenfabrik Trumpf in Aachen. Foto: Greven Archiv Digital / Dr. Paul Wolff & Tritschler
Zumeist unbekannte Ansichten vom Rheinland und von Westfalen – die bietet ein Bilderschatz, der jetzt gehoben wird. Die Fotografien stammen von Paul Wolff (1887-1951) und Alfred Tritschler (1905-1970). Das Duo hatte zu seiner Zeit bei Presse und Unternehmen einen hervorragenden Namen, der allerdings im Laufe der Jahrzehnte in Vergessenheit geraten ist. Doch damit ist es nun vorbei.
Auswahl aus 50.000 Aufnahmen
Der Band „Nordrhein-Westfalen – Aufbruch ins Wirtschaftswunderland“ präsentiert einen attraktiven Querschnitt durch den Bestand der Frankfurter Agentur. Aus den rund 50.000 Aufnahmen, die sich allein auf die rheinisch-westfälische Region beziehen, wurden rund 180 Aufnahmen ausgewählt. Die meisten glänzen in Schwarz-Weiß, einige aber auch in Farbe. Dabei reicht der Zeitstrahl vom Ende der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis in die frühen Jahre der Bundesrepublik.
„Ihre technisch brillanten und atmosphärisch dichten Aufnahmen machten die Agentur von den 1920er- bis in die 1960er-Jahre zur einflussreichsten Fotoadresse Deutschlands“, schreibt Helge Matthiesen im ausführlichen Begleittext. Die Leica bahnte dem Duo in den 1920er Jahren den Weg. Denn mit der Kleinbildkamera war man viel „leichter“ unterwegs als noch mit der Großbildkamera.
Alles so schön sonnig hier
Helge Matthiesen, Chefredakteur des Bonner „General-Anzeiger“, durchforstet den Bilderberg mit einem angenehm kritischen Blick. Zunächst einmal macht er darauf aufmerksam, dass Wolff und Tritschler häufig für Unternehmen und Institutionen tätig waren, die in ein positives Licht gerückt werden wollten. Nicht die dokumentarische Reportage stand in diesen Fällen im Vordergrund, sondern eine inszenierte Arbeits- und Freizeitwelt. Da wundert es nicht, dass der winkende Bergarbeiter seine weißen Zähne zeigt und die Arbeiterin in der Kammgarnspinnerei lächelnd einen Stoffballen stemmt. Der Polizist auf dem Kölner Rudolfplatz scheint ebenso frohgelaunt zu sein wie die Arbeiterinnen in der Aachener Schokoladenfabrik, die mit einem Handfeger die Pralinen abstauben. Immerzu sieht es nach Aufbruch in eine herrliche Zukunft Zeit aus. Vergangenheit war gestern. Willkommen in der strahlend heilen Fotowelt.
Auffallend sind einige Leerstellen im Portfolio der Fotografen. Kaum einmal ist die Trümmerlandschaft zu sehen, aus denen das Land auferstanden ist. Dafür sah man wohl keine Kundschaft. Auch zeigt die Auswahl keine Fotografien aus der Sport- und aus der Kunstszene, die ja in NRW ihre je eigene Geschichte geschrieben haben. Das war wohl nicht das Metier von Tritschler und Wolff. Immerhin – wer sich durch den gesamten Bestand scrollt, der über das Greven Archiv öffentlich zugänglich ist, findet zahlreiche Abbildungen aus dem Kölner Schnütgen-Museum.


„Keine Berührungsängste“ in der NS-Zeit
Weiter weist Matthiesen auf die „Anpassung in der NS-Zeit“ hin. Zwar waren weder Paul Wolff noch Alfred Tritschler Mitglied der NSDAP. Gleichwohl zeigten sie „keine Berührungsängste, direkt für staatliche Stellen oder Parteigliederungen der NSDAP zu arbeiten.“ Sie waren vor Ort bei den Olympischen Spielen 1936, bei Parteitagen, der Hitlerjugend und dem Autobahnbau. Auch eine Führungskraft des Chemiekonzerns IG-Farben wurde nach allen Regeln der NS-Zeit in Szene gesetzt. Das Porträt, schreibt Helge Matthiesen, „wirkt heute verstörend und ist selbst im damaligen Kontext ungewöhnlich.“
Die Ästhetik der Agentur, die phasenweise ein Dutzend Mitarbeiter beschäftigte, fällt in den 1960er Jahren allmählich aus der Zeit. Der perfekt inszenierte Blick in die Werkhalle oder ins Labor genügte nicht mehr, schreibt Matthiesen: „Die von Paul Wolff und Alfred Tritschler entwickelte Bildsprache begann, unmodern zu werden.“ Das galt auch für die Stockfotos, die großen thematischen Sammlungen der Agentur. So gab es für Städteansichten aus der Vorkriegszeit keinen Bedarf mehr – die Welt hatte sich gedreht.

„NRW ist eine Erfolgsgeschichte“
Helge Matthiesen schreibt entlang dieser Bilder seine Geschichte des Bundeslandes. Er erkennt in ihnen, wie zu lesen ist, was der Schlüssel zum Erfolg des Landes NRW war: „Arbeit und eine Politik nah an den elementaren Bedürfnissen der Menschen.“ Kein anderes Bundesland sei wirtschaftlich derart erfolgreich gewesen. Und nirgends habe man eine so gut funktionierende Integrationspolitik betrieben: „Es war für die Menschen verhältnismäßig leicht, im neuen Land neu anzufangen.“ Gerne würde man dazu den „Gastarbeiter“ befragen, der in einer Gemeinschaftsunterkunft in Eschweiler munter die Spaghetti um die Gabel wickelt. Womöglich würde er Helge Matthiesens Fazit bestätigen: „eine Erfolgsgeschichte“.
Dass dieses Foto-Material nun in einem sorgfältig gestalteten Bildband zugänglich gemacht wird, ist nichts als zu begrüßen. Es ist zum einen ein ästhetisches Vergnügen, sich auf die Inszenierungen einer vorwärtsblickenden Gesellschaft einzulassen. Zum anderen erlauben die Bilder Einblicke in verschwundene Lebenswelten – von der Wäscheleine im Vorgarten über die jeweilige Mode bis hin zu einigen im Mahlstrom der Zeit untergegangenen Berufen. Auch fallen erhellende Schlaglichter auf die Infrastruktur, darunter auf die sich allmählich belebende Autobahn. Kurzum – dieser Band ist ein schönes Schaustück und eine ergiebig sprudelnde Quelle.
Martin Oehlen
Sämtliche Fotografien
von Paul Wolff und Alfred Tritschler, die sich auf das Rheinland und Westfalen und dann auch auf NRW beziehen, finden sich unter www.grevenarchivdigital.de
Helge Matthiesen: „Nordrhein-Westfalen – Aufbruch ins Wirtschaftswunder“, mit Fotografien von Paul Wolff und Alfred Tritschler, Greven Verlag, 176 Seiten, 40 Euro.
