
Was für ein Spektakel! Sechs Monate hat Nellie Coker, die Königin der Londoner Nachtclub-Szene, in Holloway eingesessen. Doch jetzt ist Old Ma Coker wieder an Bord. Vor den Toren des Gefängnisses drängen sich die Schaulustigen. Auch die Presse ist vor Ort, und im „Amethyst“ knallen die Champagner-Korken. Welcome back, Old Ma!
Nellie Cokers Imperium
Acht Jahre sind seit dem Ende des Ersten Weltkriegs vergangen, und in Soho, dem Nachtjackenviertel von London, geht es hoch her. In den angesagten Clubs des Coker-Clans treffen sich Diebe und Politiker, angehende Filmstars, Royals und korrupte Cops. Bis zum Morgengrauen wird im „Amethyst“, im „Pixi“ und im „Foxhole“, im „Sphinx“ und im „Crystal Cup“ gefeiert, um die Erinnerungen an die Schlachtfelder von Ypern und Verdun zu vertreiben.
Doch die Konkurrenz schläft nicht, und so muss Nellie Coker nach ihrer Rückkehr aus dem Gefängnis mit allen Mitteln um den Erhalt ihres Imperiums kämpfen. Ganz zu schweigen von Chief Inspector John Frobisher, der sich zum Ziel gesetzt hat, „das Reich der delinquenten Coker zum Einsturz zu bringen“. Glaubt er doch, die skrupellose Nachtclub-Chefin sei mitverantwortlich für das Verschwinden mehrerer junger Mädchen.
Party in Babykleidung
Womit wir mittendrin wären in Kate Atkinsons temporeichem und wunderbar buntem Historienkrimi „Nacht über Soho“. Mehrere Handlungsstränge führen durch ein quicklebendiges London voller Gangster, Gauner und tougher Frauen. Da ist die Bibliothekarin Gwendolen Kelling, die der ländlichen Ödnis von York entflieht, um in London nach zwei verschwundenen Mädchen zu suchen. Die 14-jährige Freda, ein vernachlässigtes Kind aus prekären Verhältnissen, hofft auf eine Bühnenkarriere in der britischen Hauptstadt. Edith, die Älteste des Coker-Clans, rächt sich auf ihre Weise an einem ehemaligen Liebhaber.
Inspiration für ihren jüngsten Roman seien das Leben und die Zeit von Kate Meyrick, der damaligen „Königin der Club-Landschaft von Soho“ gewesen, schreibt Kate Atkinson im Nachwort. Deren Autobiografie aus dem Jahr 1933 habe viele kleine Details geliefert. Auch die Erinnerungen der legendären Schriftstellerin Barbara Cartland, der Grande Dame des britischen Liebesromans, seien „ein Füllhorn kleiner Fakten“ gewesen. Ihr verdanke sie beispielsweise die lebhafte Beschreibung einer sogenannten Baby-Party, bei der sich die Teilnehmer als Säuglinge verkleiden. Ein großes Lesevergnügen also, bei dem die Spannung nicht zu kurz kommt.
Petra Pluwatsch
Kate Atkinson: „Nacht über Soho“, dt. von Anette Grube, DuMont Buchverlag, 528 Seiten, 25 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
