
Selbst für abgebrühte Krimifans dürfte Karen Inge Nielsens Thriller „Niemand hört dich“ stellenweise starker Tobak sein. Die dänische Autorin arbeitet in der Pathologie – und so weiß sie auch, wozu Menschen fähig sind. Sie erspart ihren Leserinnen und Lesern bei der Schilderung von Mord und Totschlag kein noch so grausiges Detail. Schon der Einstieg, die Beschreibung einer Folterszene, ist nichts für zarte Gemüter.
Am Strand von Nieby
Es gehe um das Grenzland, „das wir betreten, wenn sich die tiefste Dunkelheit der Menschen zeigt“, erklärt die Autorin in einem Interview mit dem Piper Verlag die düstere Ausrichtung ihrer – bei aller Drastik sehr empfehlenswerten – Buches. „Ich gehe an die Grenzen, und manchmal überschreite ich sie, denn erst, wenn unsere Grenze erreicht oder überschritten ist, fangen wir wirklich an zu denken – und ich möchte, dass meine Leser:innen über viele Dinge nachdenken.“
Am Strand von Nieby nahe der deutsch-dänischen Grenze wird die Leiche der elfjährigen Caroline Hvidtfeldt gefunden. Das Mädchen stammt aus Dänemark und ist vor seinem Tod grausam gefoltert worden. Caroline ist offenbar nicht das erste Opfer des sadistischen Täters. Bereits ein Jahr zuvor war in einem Waldstück auf deutschem Boden ein totes Kind gefunden worden; die Leiche wies ähnliche Folterspuren wie die von Caroline auf. Geht im Grenzland ein Serienmörder um?
Videos im Darknet
Zumindest der dänische Ermittler Mads Lindstrøm ist davon überzeugt. Erst recht, als im Darknet ein Video von der bestialischen Tat auftaucht. Es wird nicht das einzige bleiben. Gemeinsam mit der deutschen Polizei nimmt Lindstrøm die Spur des Mörders auf. „Charon“, so nennt sich der Unbekannte. „Charon“ wie der Fährmann in der griechischen Mythologie, der die Verstorbenen in seinem Boot über den Totenfluss bringt.
Karen Inge Nielsen ist eine versierte Erzählerin, die weiß, wie man Spannung erzeugt: mit Cliffhangern, wechselnden Erzählperspektiven und gleich mehreren Verdächtigen. Hinzu kommen ein guter Plot und eine überzeugende Lösung. Akribisch schildert sie die mühselige Ermittlungsarbeit der Polizei, ihre Rückschläge und kleinen Erfolge, die letztendlich zur Ergreifung des Täters führen. „Niemand hört dich“ ist der erste Band einer Trilogie. Band zwei und drei, auf die man gespannt sein darf, sollen in den nächsten Monaten in deutscher Übersetzung folgen.
Petra Pluwatsch
Karen Inge Nielsen: „Niemand hört dich“, dt. von Günther Frauenlob, Piper, 308 Seiten, 15 Euro. E-Book: 12,99 Euro.
