Trotz Vertreibung häufig heimgekehrt: Die Berlin-Aufnahmen von Helmut Newton, der vor 20 Jahren gestorben ist, in einem kompakten Bildband  

Selbstporträt in Yvas Studio im Jahre 1936 Foto: Helmut Newton Foundation / Taschen Verlag

Es war in Berlin, wo Helmut Neustädter die wohl wichtigste Entscheidung seines Lebens traf. Dort war er 1920 in der wohlhabenden jüdischen Familie eines Knopffabrikanten im Stadtteil Schöneberg aufgewachsen. Doch nur wenige Tage nach der Pogromnacht im Jahre 1938, als die nationalsozialistische Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Deutschland eine neue Eskalationsstufe erreichte, floh er aus der Stadt. Vom Bahnhof Zoo aus reiste er nach Triest, bestieg dort die „Conte Rosso“ und ging in Singapur an Land. In seinem übersichtlichen Gepäck: zwei Kameras. Im Jahre 1945, als in Europa der Zweite Weltkrieg und der Holocaust beendet wurden, eröffnete er in Australien sein erstes Fotostudio – und machte als Helmut Newton (1920-2004) eine Weltkarriere.

Sumo und Baby-Sumo

Mehr als sechs Jahrzehnte nach der Flucht aus der deutschen Hauptstadt und kurz vor seinem Tod im Jahre 2004 gründete Helmut Newton eine Stiftung im ehemaligen Landwehr-Kasino gegenüber dem Bahnhof Zoo. Ausgerechnet in Berlin! möchte man sagen. Dorthin zurückzukehren, wo man verfolgt und vertrieben wurde, ist gewiss keine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich schloss sich dann auf diese Weise ein Kreis. Seit dem Tod von June Newton (1923-2021) – der australischen Fotografin Alice Springs – befindet sich das Gesamtwerk des Paares im Archiv der Stiftung.

Die Foundation betreibt in dem Gebäude gemeinsam mit der Kunstbibliothek das „Museum für Fotografie“. Eine Ausstellung erinnert nun dort (und noch bis zum 16. Februar 2025) an die sehr spezielle Beziehung des Fotografen zu dieser Stadt. Und das 20 Jahre nach dem Tod des Fotografen. Begleitend dazu erscheint ein rundum informativer Bildband bei Taschen. Den Verlag verbindet mit Newton eine spektakuläre Etappe seiner Geschichte. Denn dort erschien im Jahre 1999 „das bis dato größte, schwerste und teuerste Kunstbuch“. Im Verlagsverzeichnis wird der Preis des sogenannten Sumo-Bandes, nebst einem von Philippe Starck entworfenen metallenen Buchständer, mit 20.000 Euro angegeben. Allerdings ist die Auflage von 10.000 Exemplaren ausverkauft; eine schmalere Version, den sogenannten Baby-Sumo-Band, gibt es für 1250 Euro.

Prägung fürs Leben

Nun also – deutlich leichter und billiger, aber gleichwohl kompakt und attraktiv – die Berliner Bildergalerie. Sie wird von Matthias Harder herausgegeben, dem Direktor der Newton-Stiftung. Er stellt fest: „Die Flucht und damit das abrupte Ende seiner Jugend haben Newton für sein Leben geprägt.“ Das Kapitel Berlin sei in seinem Werk numerisch nicht das größte, aber durchaus entscheidend.

Wie sollte es anders sein, wenn dort die Anfänge liegen! In Berlin-Charlottenburg erfuhr Helmut Newton zunächst eine Ausbildung bei der Fotografin Yva, die eigentlich Else Ernestine Neuländer-Simon hieß. Sie verstand sich vor allem auf Mode, Porträt und Akt. Genau die Genres, in denen Helmut Newton ein Leben lang kreativ war. Ein frühes Selbstporträt aus dem Jahre 1936 zeigt ihn in einem weißen, hochgeschlossenen Laborkittel. Wer allerdings daraus zu schließen wagte, dass er sich seinen Motiven mit distanzierter Coolness näherte, läge selbstverständlich völlig falsch. Vielmehr ging Helmut Newton mit Lust und Laune ans Werk.   

„Schaut auf diese Stadt“

Nach dem Krieg ist er regelmäßig in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Erstmals noch vor dem Mauerbau im Jahre 1959. Da ließ er die Models vor den verbliebenen Sehenswürdigkeiten Tulpen, Sonnenschirme, Handtaschen und Berlin-Fähnchen schwenken. Er realisierte Modefotos für Magazine wie „Constanze“ oder „Vogue“, wandte sich dem „sündigen“ Berlin zu, entwarf melancholische Stadtlandschaften, inszenierte das Model Brigitte Schilling als Doppelagentin Mata Hari und porträtierte Anfang der 1980er Jahre Hanna Schygulla am „Todesstreifen“ und David Bowie im Hotelzimmer.

Helmut Newton ist der Stadt, die er verlassen musste, treu geblieben. Auch den Mauerfall und den von Christo verhüllten Reichstag hat er abgelichtet. Einige Male ist er von Magazinen eingeladen worden, seine Geburtsstadt ins Bild zu rücken. So zeigte er im „Condé Nast’s Traveller“ sein „geheimes“ Berlin, für die „MännerVogue“ lüftete er die „Geheimnisse“ der Stadt, im „Zeit-Magazin“ zeigte er Berlin nach der Maueröffnung und im „SZ-Magazin“ empfahl er 2001: „Schaut auf diese Stadt“. Auch in der „Vogue“ zeigte er sein Berlin. Schon 1979. Damals wurde er als „Star des erotischen Lichtbilds“ angekündigt. Seine Geschichte trug den Titel, der jetzt für den schönen Band reaktiviert wurde: „Berlin, Berlin“.

Martin Oehlen

Die Buchpremiere

mit Matthias Harder findet statt am Donnerstag, 28. November, 18 bis 19 Uhr, im Berliner Taschen-Store (Schlüterstraße 39).

Matthias Harder (Hg.): „Helmut Newton – Berlin, Berlin“, dreisprachige Ausgabe (englisch, deutsch, französisch), Taschen Verlag, 244 Seiten, 50 Euro.  

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..