
Es sind 36 Stufen bis zum Bombentrichter im Garten. Mit vereinten Kräften zerren Cäcilie Dreesen und Freundin Katharina Hilgers die Leiche von Melchior Matthias Pelzer die Treppen hinunter. „Pulverkopf“, so nennt man im Viertel den Mann, den Cäcilie in der Nacht zuvor erschossen hat. Notwehr? Heimtücke? Oder ist es die Verzweiflungstat einer Frau, die an die Grenzen ihrer Kraft gestoßen ist? Im März 1947 wird Cäcilie Dreesen zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Schieber, Diebe und Mörder
Ausgegraben hat den Fall aus dem Jahr 1945 der Journalist Helmut Frangenberg; er ist Redakteur beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und betreut den Podcast „True Crime. Köln“. Die Geschichte der Cäcilie Dreesen ist eine von 14 True-crime-Stories aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit, die unter dem Titel „Köln in Trümmern“ im Greven-Verlag erschienen sind. Sie erzählen von Menschen in Ausnahmesituationen: von Dieben und Mördern, von Schiebern und „Gewohnheitsverbrechern“, von Opfern, die zu Tätern werden und umgekehrt. Vor allem aber erzählen sie von einer Zeit des Umbruchs und des ungezügelten Chaos‘, in der fast jeder Mensch sich selbst der nächste war.
Da ist der Polizist, der in der Endphase des Krieges zwei Komplizen ermordet, mit denen er auf Diebestour gegangen war. Da ist der SS-Oberscharführer, der im April 1945 einen Hitlerjungen hinrichtet. Der 16-Jährige hatte durch Zufall ein Gespräch mitgehört, in dem der Parteifunktionär sich abfällig über eine lokale NS-Größe, den Kölner Gauleiter Josef Grohé, geäußert hatte.
„Die Menschen zum Leben erwecken“
Das Buch sei damit weit mehr als eine Sammlung spannender Kriminalgeschichten, sagt Henning Borggräfe, Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, bei der Vorstellung des Bandes im EL-DE-Haus. Es spiegele die Gewalt in der Kriegsendphase sowie die Stimmung in der Nachkriegszeit, die geprägt gewesen sei von Schuldabwehr und Antisemitismus. Kurzum: „Es geht um die gesellschaftliche und kulturelle Einbettung der Geschehnisse.“
Als Quellen dienten Helmut Frangenberg alte Mordakten der Kölner Kriminalpolizei, Gerichtsprotokolle und psychiatrische Gutachten. Darüber hinaus habe er versucht, sagt der Autor, die Gedanken und Gefühle seiner Protagonistinnen und Protagonisten so weit wie möglich nachzuempfinden, „um die Menschen zum Leben zu erwecken“. Herausgekommen ist dabei eine gelungene Kombination aus exzellenter Recherche und wohldosiertem, empathischem Nacherleben.
Petra Pluwatsch
Helmut Frangenberg: „Köln in Trümmern – True Crime 1944 bis 1949, Greven, 246 Seiten, 18 Euro.
