
Ich bin keiner von den sprechenden Malern, davon es jetzt so viele gibt“, schreibt Caspar David Friedrich (1774-1840) im Januar 1811 in einem Brief. Er sei also nicht einer von denen, die „imstande sind, vierundzwanzigmal in einem Atem zu sagen, was Kunst ist, während sie nicht imstande gewesen, in 24 Jahren ein einzig Mal in ihren Bildwerken zu zeigen, was Kunst ist.“ Der große Maler der Romantik, der heute vor 250 Jahren in Greifswald geboren wurde, hatte eine durchaus spitze Zunge und ein entschiedenes Urteil. Zahlreiche Beispiele dafür finden sich in dem so aufschlussreichen wie amüsanten Lesebuch über ihn, das aus Anlass des runden Jahrestages im Verlag C. H. Beck erschienen ist: „Die Kunst als Mittelpunkt der Welt“.
„Madam wurde ein bisschen böse“
Herausgegeben wird der Band von Johannes Grave, der auch ein Nachwort beisteuert, sowie von Petra Kuhlmann-Hodick und Johannes Rößler. Was das Terzett hier vorlegt, ist der Appetizer zu einem Großprojekt. Denn es plant „die Erarbeitung einer längst überfälligen wissenschaftlichen Edition aller überlieferten Schriften und Briefe Friedrichs“. Die Herausgeber sind der Ansicht, dass damit eine zentrale Quelle zum Verständnis des Künstlers der Romantik erschlossen werde.
Aber eben nicht nur zur Kunst, sondern auch zum Leben. Da gibt es jede Menge Schlüssellochblicke. So ist Caspar David Friedrich immerhin schon 26 Jahre alt, als er dem Kollegen Johan Ludvig Lund (1777-1867) von einer Bettspring-Challenge berichtet: „Sonst bin ich sehr munter und weiß oft vor Dollheit nicht, was ich anfangen soll, vor einiger Zeit kam ich auf einen dollen Einfall, ich wollte nämlich wissen, ob‘s wohl möglich wäre, wenn ich mich recht herzhaft in mein Bette würfe, durch und durch zu fallen, ich probierte es, und glücklich: ich brach durch. Über diese Leichtfertigkeit wurde unsre Madam, ordentlicher Weise, ein bisschen böse.“
Die Ehe ist „ein schnurrig Ding“
Wir lernen den Meister als jungen Künstler kennen, der Johann Wolfgang von Goethe, dem „hochgeborenen Herrn Geheimrat“, zwei Zeichnungen andient. Der 1813 für eine Weile aus Dresden aufs Land flieht, weil in der Stadt eine Hungersnot herrscht. Und der staunend vermeldet, welche Folgen seine Eheschließung mit Caroline Bommer (1793-1847) hat, der 19 Jahre jüngeren Tochter eines Blaufärbers. Allemal sei es ein „schnurrig Ding, wenn man eine Frau hat“, schreibt er an die Verwandten in Greifswald. Und dann zählt er ein paar Schnurrigkeiten auf: „Auch ist es mir gar schnurrig, dass alles, was ich jetzt unternehme, immer mit Rücksicht auf meine Frau geschieht und geschehen muss. Schlage ich nur einen Nagel in die Wand, so darf er nicht so hoch sein, als ich langen kann, sondern nur so hoch, als meine Frau mit Bequemlichkeit langen kann.“
Viel ist von der Kunst die Rede. Nichts sei Nebensache in einem Gemälde, „alles gehöret unumgänglich zum Ganzen“, lässt er wissen. Auf drei Ebenen gelte es zu bestehen – beim Empfinden, Durchdenken und Machen eines Kunstwerks. Bei der Betrachtung eines „Tierstücks“ meint er, dass der Hund vortrefflich gemalt sei, aber der „Kerl“, der auf dem Bild den Hund führe, „sieht aus, als wenn ihn der Hund gemalt hätte.“ Weiter reflektiert er über den „Mönch am Meer“, sein berühmtes Gemälde von 1810: „Und sännest du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits!“.
„Ihr nennt mich Menschenfeind“
Politisch sehen wir Caspar David Friedrich kreidefelsenfest im Nationalen verhaftet. Dem Bruder Christian (1779-1843) zürnt er im Jahre 1808, weil der ihm einen Brief aus Lyon geschickt hat. Ausgerechnet aus Frankreich! Aus dem Land der Sieger in der Schlacht von Jena und Auerstedt (1806). Um seine Nachtruhe nicht zu gefährden, antwortet Caspar David Friedrich, habe er den Brief erst einmal einen Tag ungeöffnet liegen lassen. Der glühende Chauvinist schreibt an den jüngeren Bruder: „Du fühlest es selbst, dass es nicht recht ist, dass Du als Teutscher in Frankreich bist, und das tröstet mich noch einigermaßen, denn sonst würde ich ganz an Deiner Teutschheit zweifeln.“ Der „liebe gute Junge“, mahnt er, möge ihm nicht mehr schreiben, solange er in Frankreich sei. „Aber sobald Du Frankreichs Grenze wieder überschritten und in einem andern Lande bist, so bitte ich Dich dringend, lasse mich wissen, wo Du bist und wie’s Dir gehet.“
Auch als Poet ist der Maler in diesem Band vertreten. Einer seiner Aphorismen, die wie literarische Korrespondenzen zur Malerei wirken, lautet: „Ihr nennt mich Menschenfeind, / Weil ich Gesellschaft meide. / Ihr irrt euch, / Ich liebe sie. / Doch um die Menschen nicht zu hassen, / Muss ich den Umgang unterlassen.“
„Ein gefährlich Ding“
Caspar David Friedrich selbst sagt, dass ihm das Schreiben nicht so recht gelegen habe. Vielmehr sei es ihm „ein gefährlich Ding“. Denn: „Ich komme mir mit der Feder in der Hand vor wie einer, der in einen tiefen Sumpf geraten, wo er mit jedem Schritte weiter immer tiefer sinkt; woher es denn auch kommen mag, dass meine Briefe nie lang sind, aus Furcht, nicht etwa ganz zu versinken und zu ersticken.“
Umso erfreulicher, dass er sich dennoch immer wieder in diesen Risikobereich begeben hat – in Briefen, Abhandlungen und Gedichten. Das vorliegende Lesebuch „Die Kunst als Mittelpunkt der Welt“, das bereits vor ein paar Monaten erschienen ist, bezeugt es in einer abwechslungsreichen Auswahl aufs Schönste. Da macht es sogar Spaß, eine Datumsangabe zu einem Brief zu lesen: „Dresden, den, ja wenn ichs wüsste. Januar 1811.“
Martin Oehlen
Johannes Grave, Petra Kuhlmann-Hodick und Johannes Rößler (Hrsg.): „Caspar David Friedrich – Die Kunst als Mittelpunkt der Welt – Ausgewählte Schriften und Briefe“, C. H. Beck, 192 Seiten, 20 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
