
Was war Deine liebste Barbie-Puppe?“ Das ist nicht gerade eine Frage, die bei jeder Lesung gestellt wird. Aber als Toxische Pommes – so der Social-Media-Name der österreichischen Schriftstellerin mit dem Vornamen Irina – ihren Debüt-Roman „Ein schönes Ausländerkind“ in der Buchhandlung Thalia in der Mariahilfer Straße in Wien vorstellte, war das das erste, was sie aus den dicht besetzten Reihen zu hören bekam: „Was war Deine liebste Barbie-Puppe?“
Der gute Riecher des Vaters
Allerdings gab es für die Frage einen konkreten Anknüpfungspunkt. Denn in dem autofiktionalen Roman ist von der Sehnsucht der jungen Ich-Erzählerin die Rede, eine eigene Barbie-Puppe in Händen halten zu dürfen. Doch das ließen die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Eltern nicht zu. Dann aber ereignete sich dieser verheerende Brand in einem Spielwarengeschäft in Wien. Menschen waren dabei nicht zu Schaden gekommen. Doch die Ware war in Flammen aufgegangen. Die ganze Ware? Nein.
Der Vater – von dem es heißt, er habe immer schon einen guten Riecher gehabt, wenn es um ein Geschäft ging – machte sich sofort und allein auf den Weg zur Brandstelle. Tatsächlich wurden dort einige Spielwaren, die lediglich angekokelt waren, zu Schleuderpreisen angeboten. Darunter: jede Menge Barbie-Puppen. Ein Goldland tat sich auf.
Der Kuss auf die Plastikstirn
Mit einem Sack voller Barbies sei der Vater heimgekehrt, heißt es im Buch. Immer dachte die Tochter, dies sei nun die letzte Puppe, die er ihr präsentierte. Doch dann sei noch eine und noch eine aus dem Sack gekommen. Allerdings verströmten die Puppen einen etwa dieselöligen, eben angebrannten Geruch. Eine Weile mussten die Barbies im Freien auslüften. Doch des Nachts, so trug Toxische Pommes es vor, habe sie alle ins Haus geholt und mit einem Kuss auf die jeweilige Plastikstirn zur Ruhe gelegt.
Jetzt aber zur Sache: „Was war Deine liebste Barbie-Puppe?“ Toxische Pommes musste erst einmal kurz nachdenken. Ist ja schon ein paar Tage her. Dann fiel ihr Skipper ein – eine Puppe mit braunem statt blondem Haar.
„Es hat sich sehr gut angefühlt“
Überhaupt die frühen Jahre! Welches ihre liebste Erinnerung an die Schulzeit in Österreich gewesen sei? Diesmal kam die Antwort sehr flott: „Als wir in der 4. Klasse Wurstscheiben in den Computer gelegt haben.“ Auch habe ihr gefallen, als die Klasse die Tasten des Computers (oder waren es mehrere Geräte?) einzeln aus dem Fenster geworfen habe. „Ich weiß nicht, warum wir das gemacht haben“, bekannte sie, „aber es hat sich sehr gut angefühlt.“
Im Kern des autofiktionalen Romans geht es um eine serbisch-montenegrinischen Familie, die vor dem Jugoslawienkrieg aus Kroatien nach Österreich flieht und dort nichts stärker anstrebt, als sich möglichst schnell zu integrieren. Ein Buch mit „ernsten“ und mit „lustigen“ Stellen, wie die Autorin deutlich machte. Da ist viel Ironie im Spiel, wenn es um Eigenarten der Österreicherinnen und Österreicher geht. Ein kraftvoll formuliertes „Mahlzeit“, am besten im Wiener Dialekt dargeboten, öffnet angeblich viele Türen. Im Roman wird sogar die These gewagt, man könnte auf diese Weise bis ins Amtszimmer des Bundespräsidenten vordringen.
Suche nach dem ausgestopften Lamm
Das Lamm also, das auf dem Buchcover zu sehen ist, darf als ironische Volte gesehen werden. Denn lammfromm ist die Geschichte keineswegs. Lange habe sie mit dem Fotografen – der bei der Lesung auf einem der fünf für „Irina“ reservierten Stühle in der ersten Reihe saß – nach einem ausgestopften Lamm gesucht. Das sei gar nicht so einfach. Eher lasse sich ein ausgestopfter Löwe ausfindig machen als ein ausgestopftes Lamm. Aber schließlich sei man doch fündig geworden: „Mir hat gefallen, dass das Lamm schon lange tot ist und dass es nicht für uns gestorben ist.“
„Können wir von Ihnen noch etwas erwarten?“ wollte ein Besucher schließlich wissen. Ja, meinte Toxische Pommes. Sie arbeite aktuell am Konzept zu einem zweiten Buch. Dabei handele es sich aber nicht um eine Fortsetzung der autofiktionalen Szenen einer Immigration. Toxische Pommes, die auf TikTok und Instagram aktiv ist und mit ihrem Kabarett-Programm „Ketchup, Mayo und Ajvar“ tourt, ist ja längst in Österreich angekommen.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
sind wir schon einmal kurz auf Toxische Pommes eingegangen. Anlass war das 100-jährige Bestehen des Paul Zsolnay Verlags, das in diesem Jahr gefeiert wird, und die nun publizierte Chronik von Murray G. Hall und Georg Renöckl: „Welt in Wien – Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024“. All das HIER.
Das Zsolnay-Lesefest
Der Zsolnay Verlag feiert seinen 100. Geburtstag am 8. Juni 2024 mit einem Lesefest in Wien. Autorinnen und Autoren des Hauses lesen und diskutieren im Belvedere 21. Der Eintritt ist frei.
Toxische Pommes. „Ein schönes Ausländerkind“, Paul Zsolnay Verlag, 206 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
