
Ein nächtlicher Anruf stellt das Leben von Bjørk Isdahl komplett auf den Kopf. Die drogensüchtige Azora drängt sie zu einem sofortigen Treffen. Dringend sei es, sie könne sie nicht länger schützen, und „wir Mädchen halten doch zusammen“. Widerwillig stimmt Bjørk einem Treffen zu, doch als sie am vereinbarten Treffpunkt auftaucht, ist Azora nirgends zu sehen. Nur wenige Sekunden später stürzt sie der Profilerin direkt vor die Füße – und Bjørk gerät in Verdacht, die verwahrloste Fixerin getötet zu haben.
Beginn einer Heldenreise
Dabei hat sie schon genug Probleme! Erst vor wenigen Monaten hat sie ihren Job bei der Osloer Polizei verloren. Ein Verdächtiger hatte sich in der Untersuchungshaft das Leben genommen, Bjørks fehlerhafte Begutachtung hatte zu der Katastrophe beigetragen. Den Freund hat sie, von Schuldgefühlen geplagt, vergrault, obwohl die Liebe groß war. Außerdem wird Bjørk seit ihrer Kindheit von Albträumen heimgesucht. Darin sitzt sie angekettet im Schnee und zerrt voller Angst an ihren Fesseln. „Ich sitze hier fest, bis ich geholt werde, bis ich unter einer warmen Decke wieder aufwache.“
„Die den Schnee fürchten“ von Hilde S. Palladino ist ein spannender Skandinavien-Krimi mit allem, was dazugehört. Guter Plot, eine an Überraschungen reiche Geschichte und – das vor allem – eine interessante Protagonistin, für die an diesem schicksalhaften Abend eine Heldenreise beginnt.
Im Hintergrund eine tragische Familiengeschichte
Bei dem Versuch, sich von dem schlimmen Verdacht reinzuwaschen, verliert Bjørk zunehmend die Bodenhaftung. Sie fühlt sich verfolgt und bedroht. Jemand scheint in ihre Wohnung eingebrochen zu sein, doch die Polizei glaubt ihr nicht. Kann es sein, dass die verstörte Profilerin unter Wahnvorstellungen leidet? Fast ist man geneigt, dieser These zu folgen. Und immer wieder träumt sie von ihren Erlebnissen im Schnee, von einem Hirsch und davon, wie das Tier vor ihren Augen erschossen wird.
Hilde S. Palladino verwebt das aktuelle Geschehen mit einer tragischen Familiengeschichte. Bjørk ist als Fünfjährige adoptiert worden. Ihr fehlt jegliche Erinnerung an ihre ersten Lebensjahre. Doch allmählich lichtet sich das Dunkel um ihre Vergangenheit, und sie erfährt mehr über ihre Eltern, als ihr lieb ist. Und: Sie weiß endlich, was es mit ihren Träumen vom Schnee auf sich hat. Ein vielschichtiger Krimi über Familiengeheimnisse und die Macht trügerischer Erinnerungen.
Petra Pluwatsch
Hilde S. Palladino: „Die den Schnee fürchten“, dt. von Maike Dorries und Günther Frauenlob, Blanvalet, 448 Seiten, 12 Euro. E-Book: 8,99 Euro.
