
Romilly ist verschwunden. Romilly, die fröhliche Kellnerin mit dem pfiffigen Kurzhaarschnitt. Vor zwei Tagen hat sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Jetzt steht Ehemann Marc mit einem Luftballon in der Hand vor ihrem leeren Bett, und ihre kleine Tochter schreit sich vor Hunger die Kehle wund. Eine Erklärung ist schnell zur Hand.
Wem kann man denn noch trauen?
Romilly leide wie schon ihre Mutter an einer postpartalen Psychose und sei nicht sie selber, so die übereinstimmende Meinung von Marc und Schwägerin Loll. Man müsse sie so schnell wie möglich finden, ehe sie womöglich Hand an sich lege. Doch ist Romilly wirklich so krank, wie man es den Freunden vermitteln will? Oder wollen Marc und Loll etwas weitaus Schlimmeres vertuschen?
Der britischen Journalistin und Autorin Caroline Corcoran, wie ihre Protagonistin auf der Halbinsel Wirral im Norden Englands zu Hause, ist mit ihrem zweiten Buch „Die Vermisste“ ein megaspannendes Vexierspiel aus Täuschungen, Lügen und falschen Verdächtigungen gelungen. Neben Marc kommen die Verschwundene selbst und ihre beste Freundin Steffie zu Wort. Jede von ihnen erzählt eine andere Version der Ereignisse, und schon bald weiß man nicht mehr, wem man noch trauen darf.
Tragödie im Reihenhaus
„Verdächtig ist immer der Ehemann“, sagt Marc, der sich rührend um seine neugeborene Tochter kümmert und keinen Zweifel an seiner Unschuld lässt. „Sag Marc keinesfalls, wo ich bin“, beschwört hingegen Romilly ihre Freundin Steffie. Dem Mann sei nicht zu trauen. Immer wieder beteuert sie, nicht krank zu sein, und führt gute Gründe dafür an, warum sie Hals über Kopf aus dem Krankenhaus geflohen ist. Dann ist da noch Loll, die ein verdächtiges Interesse an ihrer neugeborenen Nichte hat. Und da ist schließlich Marcs Freund Adam, der voll und ganz auf der Seite des Ehemannes steht und sich in dessen Auftrag auf die Suche nach der Verschwundenen macht.
Erst ganz am Schluss wird das Ausmaß der Tragödie sichtbar, die Romilly zur Flucht bewogen hat. Bis dahin kann man kaum mehr aufhören zu lesen, um endlich, endlich zu erfahren, was sich eigentlich in dem unscheinbaren Reihenhaus mit der grünen Tür abgespielt hat und warum eine frischgebackene Mutter ohne Erklärung aus dem Krankenhaus ins Ausland flüchtet.
Petra Pluwatsch
Caroline Corcoran: „Die Vermisste“, dt. von Sybille Uplegger, Heyne, 480 Seiten, 16 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
