
Wer hat die Glienicker Brücke in die Luft gesprengt? Der sowjetische KGB? Die amerikanische CIA? Der deutsche BND? Oder war es ein durchgeknallter Einzeltäter, der die Sprengsätze an den Brückenpfeilern zündete und damit – im Jahr 1983 – fast den Dritten Weltkrieg auslöste? Nina Winter, eine Frau mit vielen Namen, weiß es nicht. Die BND-Mitarbeiterin weiß nur, dass der Austausch zwischen einem von ihr geführten Moskauer Top-Agenten und dem in den USA zum Tode verurteilten Sohn eines KGB-Funktionärs gründlich schiefgegangen ist. Beide tot. Zwei Weltmächte bereit zum atomaren Erstschlag. Sie selber liegt mit Verbrennungen und mehrfach gebrochenen Knochen in einem Hamburger Krankenhaus. Wie es zu der Katastrophe kommen konnte, das erzählt Andreas Pflüger in seinem atemberaubenden Spionagethriller „Wie sterben geht“.
Nina wird nach Moskau geschickt
Im Mittelpunkt: Nina Winter alias Elsa Opel alias Lidia Walentinowna Gussewa. Die junge Agentin wird vom Bundesnachrichtendienst nach Moskau geschickt, um den dortigen Top-Spion „Pilger“ zu führen. Pilger, ein hohes Tier beim KGB, hatte ausdrücklich nach der Deutschen mit den ausgezeichneten Russisch-Kenntnissen verlangt, nachdem sein bisheriger Führungsoffizier verschwunden war.
In nur wenigen Wochen wird Nina fitgemacht für den gefährlichen Job. Sie lernt, wie man Verfolger abschüttelt, tote Briefkästen leert und „Reinigungsschleusen“ einrichtet, um zu überprüfen, ob man überwacht wird. Kenntnisse, die sie dringend brauchen wird, um im Moloch Moskau zu überleben.
Russische Mafia mischt mit
Vom ersten Tag an überwacht der sowjetische Geheimdienst die angebliche Botschaftsmitarbeiterin rund um die Uhr. Ihre Wohnung wird verwanzt, ihre Kontakte werden ausspioniert, jeder Einkauf gerät zum Spießrutenlauf. Wird sie unter diesen Umständen überhaupt Kontakt zu Pilger aufnehmen können? Doch je größer der Druck auf Nina wird, desto geschickter taktiert sie. Schnell wird aus der bänglichen Anfängerin eine ausgebuffte Top-Agentin, die es selbst mit der russischen Mafia aufnimmt.
Andreas Pflüger taucht in seinem sechsten Roman tief ein in die Zeit des Kalten Krieges, als die Welt einmal mehr in den Abgrund einer weltumspannenden Katastrophe zu taumeln drohte. Bezüge zur Jetzt-Zeit sind nicht von der Hand zu weisen. In der Moskauer Blase ist jeder sich selbst der nächste, und bald wissen die Leserinnen und Leser ebenso wenig wie Nina, wem sie noch trauen können. Ein packender, ausgezeichnet erzählter Thriller mit mehreren Zeitebenen, der selbst John le Carré blass aussehen lässt.
Petra Pluwatsch
Andreas Pflüger: „Wie Sterben geht“, Suhrkamp, 448 Seiten, 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.
