Nonstop vom Kolonialismus zur Klimakrise: Amitav Ghosh liefert mit „Der Fluch der Muskatnuss“ ein Gleichnis für einen „Planeten in Aufruhr“

Stillleben mit Muskatnüssen Foto: Bücheratlas

Es musste nicht immer nur Gold und Silber sein. Auch Gewürze zählten zu den begehrten Schätzen der Kolonialzeit. Für die Seemächte stand dabei einiges auf dem Spiel: „Der Wettlauf um die Gewürze“, lesen wir bei Amitav Ghosh, „war der Wettlauf ins All der damaligen Zeit.“ Zu den Objekten der Raffgier gehörten im 17. Jahrhundert auch Muskatnuss und Muskatblüte, die auf den Banda-Inseln des Molukken-Archipels ihren idealen Nährboden hatten.

„Genozid“ auf den Banda-Inseln

Amitav Ghosh, 1956 in Kalkutta geboren und in New York lebend, ist vor allem als Romancier eine bekannte Größe („Der Glaspalast“). Allerdings ist „Der Fluch der Muskatnuss – Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr“ keine Fiktion, sondern eine engagierte Schrift über Kolonialismus und Klimakrise. Für ihn kein neues Themenfeld. Davon ist schon in seinen Romanen zu lesen wie auch in seinem 2016 veröffentlichten Sachbuch „The Great Derangement: Climate Change and the Unthinkable“.

Kurzweilig gestaltet der Autor jetzt die Verbindung zwischen brutaler Geschichte und unmissverständlicher Gegenwartskritik. Dabei imponiert vor allem die kulturhistorische Erzählung, die mit einer im Jahre 1621 zu Boden stürzenden Öllampe beginnt. Anschaulich schildert er den blutrünstigen Zugriff der Niederländer, vertreten durch die Vereinigte Niederländische Ostindien-Kompanie. Die Bilanz des Unwesens: „Systematisch zerstörten die niederländischen Soldaten die Dörfer und Siedlungen auf allen Inseln, nehmen so viele Inselbewohner gefangen, wie sie können, und töten die übrigen.“ Amitav Ghosh spricht hier von einem „Genozid“.  

„Nichtmenschliche Stimmen“

Menschengemachte Eingriffe in die Umwelt beschäftigen Amitav Ghosh das ganze Buch über. Den Kolonisatoren sei es darum gegangen, schreibt er, die Natur für ihre Zwecke zu gestalten und auszuschöpfen. Wie anders doch die Ureinwohner da und dort. Nicht nur auf den Banda-Inseln, sondern auch auf dem amerikanischen Kontinent. Der Autor verweist exemplarisch auf die Native Americans, für die Landschaften lebendige Geschöpfe seien.

Die Naturmystik, die Amitav Ghosh pflegt, ist gewiss nicht jedermanns Sache. Gleichwohl kann man sich metaphorisch darauf einlassen. Auch auf seine finale Forderung, dass angesichts der näher rückenden planetaren Katastrophe „die nichtmenschlichen Stimmen wieder in unseren Geschichten mitsprechen“ müssten. In jedem Falle ist „Der Fluch der Muskatnuss“ eine durchweg stimulierende und entschlossen in die Gegenwart fortgeschriebene „Momentaufnahme“ aus der Geschichte des Kolonialismus.

Profit im Sinn

Dabei nimmt Amitav Ghosh kein Blatt vor den Mund. Er kritisiert, dass ein Großteil der Erdbevölkerung – wenn nicht gar der allergrößte Teil – heute wie die Kolonisatoren von einst lebte: „Sie betrachten die Erde, als sei sie eine leblose Entität, die in erster Linie dazu da ist, mittels Technik und Wissenschaft ausgebeutet zu werden und Profit aus ihr zu schlagen.“ Die Menschheit hat mal wieder nichts dazugelernt. Dass sie sich damit das eigene Grab gräbt, versteht sich von selbst.

„Der Fluch der Muskatnuss“ ist eine farbig-frische Kulturgeschichte. Ob der darin verpackte Warnruf vernommen wird, ist ungewiss. Aber es darf ja noch gehofft werden.

Martin Oehlen

Amitav Ghosh: „Der Fluch der Muskatnuss – Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr“, deutsch von Sigrid Ruschmeier, Matthes und Seitz, 334 Seiten, 28 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

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