„Dat is nix för Froonslüüd“: Jarka Kubsova erzählt in „Marschlande“ vom Kampf gegen Deichgrafen und Ehemänner

Ausblick vom Deich Foto: Bücheratlas

Zwei Welten treffen in dem Roman „Marschlande“ von Jarka Kubsova aufeinander. Zum einen ist es jene Welt der Bäuerin Abelke Bleken, die um 1580 als Hexe auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wird. Zum anderen ist es die Welt von Britta Stoever, die in der Jetztzeit eine Ehe lebt, die ihr mehr und mehr missfällt. Handlungsort sind in beiden Fällen die Marschlande bei Hamburg. Zwei Welten, wie gesagt, werden hier geschildert – doch so sehr weit liegen sie nicht auseinander.

„Effizienhaus mit Dreifachglasisolierung“

Diesen Eindruck jedenfalls vermittelt die Autorin, die vor zwei Jahren ihren Debütroman „Bergland“ vorgelegt hat. Jarka Kubsova schildert im steten Wechsel (bei einer Ausnahme) die Lebensumstände von Abelke und Britta. Die Kapitel, die solcherart zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechseln, sind inhaltlich eng verbunden. Endet das eine Kapitel mit einer üblen Nachrede, fährt das nächste mit einer solchen fort, ist es damals die von Ohr zu Ohr geflüsterte Losung „Hexe“, ist es heute die Hate-Speech-Vokabel „Nutte“.

Kürzlich erst ist Britta mit Ehemann Philipp nach Ochsenwerder gezogen. Leider nicht in ein altes Backsteinhaus mit Reetdach, wie sie es sich gewünscht hatte, sondern in eine moderne Variante, in die sich Philipp spontan verguckt hatte. Ein „Effizienhaus mit Dreifachglasisolierung“, wie es heißt. „Hier zieht nichts“, sagte Philipp stolz. Hingegen meint Britta, dass dieses Haus „Sachen zum Schweigen“ bringe.

Spökenkram wird ernst genommen

Um heimisch zu werden, erkundet Britta die neue Umgebung. Dabei stößt sie schon bald auf die Gewalttat, die sich im Spätmittelalter an ihrem neuen Wohnort ereignet hat. Sie findet heraus, dass man der tatkräftigen Abelke übelst mitgespielt hat, weil sie ihren Hof nicht freiwillig hergeben wollte. Der lebensgefährliche Vorwurf, eine Hexe zu sein, fiel auf fruchtbaren Boden, da dem „Spökenkram“ viel Glauben geschenkt wurde.

Reizvoll an diesem Roman ist vor allem die Erinnerung an den Fall der Abelke Bleken. Jarka Kubsova orientiert sich bei der Darstellung an den historischen Fakten. Allerdings muss sie viele Leerstellen in der Überlieferung mit fiktivem Material auffüllen. Das gelingt auf ansprechende Weise. So klingt in diesem konkreten Fall die Herleitung der Hexenverfolgung aus der Gewinnsucht triftig.

Im Urstromtal der Elbe

Auch ist es ein Roman der Landschaft, der Geest und der Bracks. Einst war hier das Urstromtal der Elbe. Doch längst schon ist das Terrain durch Deiche gesichert worden. Dass eine Sturmflut gleichwohl immer noch eine Gefahr ist, wissen die Bewohner sehr wohl. Nicht zuletzt sieht Britta in der offenen – sie sagt: „kahlen“ – Landschaft klarer: „Es war, als ob nicht nur in der Natur Dinge freigelegt würden, sondern auch in ihr.“

Vor allem aber hat Jarka Kubsova einen Konzeptroman geschrieben. Sie will uns vor Augen führen, dass sich im Geschlechterverhältnis trotz aller Zeitenwenden noch nicht so viel verändert hat. Dazu dient die historische Parallelführung von Motiven im Privaten wie im Beruflichen. So wie es Abelke nicht gelang, als Deichgeschworene berufen zu werden („Dat is nix för Froonslüüd“), so wurde Britta, die studierte Geografin, in ihrer Berufskarriere gemobbt. Und wie Abelke um ihren Hof kämpfte, so kämpft Britta um ihr Haus. Da geht es gegen Deichgrafen, Ratsmänner und Ehegatten.

„Es war eine sehr alte Geschichte“

Während Britta das Leben von Abelke erforscht, lernt sie ihr eigenes Leben besser kennen. All das wird von Jarka Kubsova kurzweilig arrangiert und erzählt. Allerdings wirkt die Personenzeichnung zuweilen allzu stromlinienförmig. Das gilt zumal für den hinterhältigen Ehemann und dessen unausstehliche Mutter. Dass die Empathie der Erzählerin nicht allen Figuren gilt, sondern in erster Linie ihren beiden Heldinnen, steht schon früh fest.  

„Es war eine sehr alte Geschichte“, heißt es am Ende des Romans über Abelke Bleken, die als Hexe verbrannt worden ist. Aber das Echo davon ist noch heute zu vernehmen. Im Nachwort schreibt Jarka Kubsova: „Aus der Folter und den Hinrichtungen, die die Opfer der Hexenprozesse erleiden mussten, lernten andere Frauen, dass sie fügsam und still zu sein hatten, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden.“

Martin Oehlen

Jarka Kubsova: „Marschlande“, S. Fischer, 318 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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