
Alexander von Humboldt auf einem Porträt des Königlichen Hofmalers Friedrich Georg Weitsch (1758-1828) aus dem Jahr 1806. Foto: Wikimedia commons
Auf die Tinte kommt es an. Das wusste Alexander von Humboldt (1769–1859), als er sich von Berlin aus in Richtung Tropen aufmachte – in die „Palmenwelt“ Amerikas. Seinen Tagebüchern entnehmen wir, welche Vorsorge er getroffen hatte, damit seine Aufzeichnungen die lange Reise überstehen konnten. So merkte er stolz an, dass die von ihm gemischten Tinten selbst dem Wasser des Orinoco getrotzt hätten. Denn da hinein sind seine Tagebücher gefallen – und konnten gerettet werden, ohne dass all diese historisch wertvollen Notate buchstäblich zerflossen wären.
So steht es geschrieben in dem „Buch der Begegnungen“, für das Ottmar Ette prägnante und repräsentative Passagen aus den amerikanischen Reisetagebüchern des Gelehrten ausgewählt hat. Eine Auswahl ist es, weil das gesamte Material immer noch nicht erfasst ist, weil einige Beiträge (mutmaßlich aufgrund der Weltkriegswirren) verschollen sind und vor allem weil allein der vorhandene Textcorpus mehr als 4500 Seiten umfasst.
Was sofort begeistert: Alexander von Humboldts Tagebücher, an denen der Wissensdurstige auch nach seiner Rückkehr ergänzend und korrigierend gearbeitet hat, sind von einer vorbildlichen Neugier und Offenheit beseelt. Die Reise zu See, während der er auf den Kanaren erstmals „afrikanischen Boden“ zu betreten meinte, und die Reise über Land, die ihn tief in den südamerikanischen Urwald führte – sie sind überreich an Entdeckungen und Begegnungen. Humboldt genoss all dies nicht nur als nüchterner Dokumentarist, sondern hingerissen mit allen Sinnen. Davon erzählt er – in dieser Auswahl zumindest – sehr locker, selten dozierend, zuweilen verknappend und auch mal süffisant-ironisch. Er beobachtet sich gleichsam selbst, wie er eine buchstäblich neue Welt für sich entdeckt. Dafür nahm er viele Strapazen und Gefahren in Kauf. Gleich zu Beginn der Reise hält er fest: „Meine Stimmung war gut, wie sie sein muss, wenn man ein großes Werk beginnt. Ich nehme mir vor, sie nicht durch die Besorgnis vor dem Feinde zu verderben.“ An anderer Stelle, ein paar Tage später, heißt es: „Dass Menschen doch immer Menschen fürchten müssen, in Einöden, wo alles Hilfe fordert.“
Humboldt war zum einen als Naturwissenschaftler unterwegs, der begierig die Temperatur des Erdbodens maß, den Kaimanen auf ihre drachenartigen Zacken am Schwanz schaute und den Chimborazo als vermeintlich höchsten Gipfel der Welt zu besteigen versuchte. Doch zugleich war er ein aufgeklärter Geist, ein Humanist, der die Sklaverei ebenso geißelte wie das missionierende „Mönchsgesindel“, dessen Untaten im Namen des Herrn er nicht müde wird zu erwähnen.
Diese „nun erstmals“ vorgelegte Zusammenschau wird in dem vertraut prächtigen Rahmen einer Manesse-Ausgabe geboten. Die Edition ist nicht nur ein ästhetischer Genuss, sondern wurde vom Herausgeber Ottmar Ette inhaltlich sorgfältig aufbereitet. Der Potsdamer Professor für Romanische Literaturwissenschaft leitet das einschlägige Forschungsprojekt zu den Tagebüchern an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Humboldts „Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents“, die er zwischen 1799 und 1804 unternahm, war laut Ette „die Reise seines Lebens“. Von der brachte er auch diese Einsicht mit: „Es ist sehr wichtig, die Grenzen seines Wissens zu kennen, um zu zeigen, was zu tun übrig ist.“
Martin Oehlen
Alexander von Humboldt: „Das Buch der Begegnungen – Menschen, Kulturen, Geschichten aus den amerikanischen Reisetagebüchern“, hrsg. von Ottmar Ette, 394 Seiten, Manesse, 45 Euro. E-Book: 39,99 Euro.
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