Literatur-Nobelpreis: Sex, Crime und Eitelkeit

 

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Der Wahlspruch der Schwedischen Akademie: „Genie und Geschmack“

 

So ungefähr der einzige Vorwurf, von dem die Schwedische Akademie bislang verschont blieb, ist derjenige, sich auf unseriöse Art für einen Literatur-Nobelpreisträger entschieden zu haben. Zwar gab es immer wieder mal Verwunderung darüber, wer denn da den Lorbeer erhielt. Zumal dann, wenn die oder der Auserwählte nicht den eigenen Erwartungen entsprach.

Notorisch ist die mangelnde Berücksichtigung der amerikanischen Autoren. Und Ilija Trojanow, jüngster Böll-Preisträger der Stadt Köln, beklagt mit Blick auf Afrika und Indien: „Riesige Literaturen sind überhaupt nicht wahrgenommen worden.“ Doch immerhin ist nichts ruchbar geworden von internen Absprachen oder externen Beeinflussungen – was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch diese gegeben haben könnte.

Öffentlich freilich sind die Vorwürfe der sexuellen Belästigung, die dank der MeToo-Bewegung nicht unter den Teppich gekehrt wurden. Die Person, die im Fokus steht, soll sogar Kronprinzessin Victoria angetatscht haben. Zudem geht es um die vorzeitige Bekanntgabe der Preisträger und um dubiose Förderpraktiken. All das ist ein schöner Treibsatz, um unter den Akademie-Mitgliedern erst für Unruhe und dann für allerlei üble Nachrede zu sorgen. Mit der legendären Diskretion ist es auf einmal vorbei: Die Akademie, 1786 gegründet, ist im 21. Jahrhundert angekommen.

Dass es bei diesem Skandal nicht um Literatur geht, versteht sich von selbst. Es sei denn, man sähe in der Vielzahl der Verfehlungen den Stoff für einen Roman. Der erzählte dann eine Geschichte von Sex, Crime und Eitelkeit unter Besserverdienenden. Als Titel käme der Wahlspruch der Akademie, den sie in ihrem Wappen trägt, leider nicht in Frage. Der lautet: „Talent und Geschmack“.

Die Absage der diesjährigen Verleihung ist der erwartete und notwendige Paukenschlag. Bedenkt man, dass es seit 1949 keine Unterbrechung mehr gegeben hat, so wird die Dimension der aktuellen Auszeit begreifbar. Es ist ein Sturz aus dem Literaturhimmel.

Der Nobelpreis galt bislang als die weltweit bedeutendste literarische Auszeichnung. Wer ihn erhielt, war aller Ehren wert. Tatsächlich förderte dieser Preis nicht in erster Linie die Literatur, sondern würdigte und bereicherte eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller im oft fortgeschrittenen Alter und in aller Regel mit einem umfänglichen Werk auf der Habenseite.

Zu den Gewinnern zählt aber auch der Buchhandel, für den die Bekanntgabe des Preisträgers ein Fest ist. Die Verlage, die vom Glücksstrahl getroffen werden, überschlagen sich dann in dem Bestreben, die Werke schnellstmöglich in Neuauflagen auf den Markt zu bringen – versehen mit der schicken Banderole „Nobelpreis für Literatur“. Dass alles geschieht zur Freude der Leserschaft, die durch den Stockholmer Lektüre-Tipp neugierig gemacht wird. Dieser Impuls wird 2018 fehlen.

Ja, der Handel guckt in die Röhre. Aber auch Schwedens König Carl Gustaf ist in Sorge: „Ich habe die Entwicklung in der Schwedischen Akademie in letzter Zeit mit großer Unruhe verfolgt.“ Das ist nachvollziehbar. Denn ein Schatten fällt auch auf sein schönes Land, das gewohnt ist, sich der Welt im Glanze des kulturellen Spitzenpreises zu präsentieren.

Aber es gab keine Alternative zur Absage. Wenn fast die Hälfte der Jury-Sitze unbesetzt ist, wie dies aktuell der Fall ist, dann wird die Wahl zur Farce. Ganz abgesehen davon, dass die Statuten – die eine Mindestteilnehmerzahl vorsehen – dies nicht zugelassen hätten.

Also muss der Preis in Quarantäne, um ihn neu, kompetent und transparent aufzustellen. Und Haruki Murakami, so sagt es ein betrübter Kollege, muss noch mindestens ein Jahr länger auf seine lange schon überfällige Auszeichnung warten.

Martin Oehlen

https://www.ksta.de/30121458 ©2018

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