Familienszenen aus einem zerrissenen Land: Damon Galguts preisgekrönter Südafrika-Roman „Das Versprechen“

Nelson Mandela schaut auf das Land, das mit seiner Hilfe die Apartheid überwunden hat, aber noch viele Klippen überwinden muss. Foto: Bücheratlas

Versprochen ist versprochen. Da lässt die Südafrikanerin Amor Swart nicht mit sich reden, sondern ist so penibel wie beim Zusammenlegen der Kleidung. Auf dem Sterbebett hatte ihre Mutter Rachel dem Ehemann Manie das Versprechen abgerungen, er möge das Häuschen auf der Farm bei Pretoria, in dem die Haushaltshilfe Salome lebt, dieser zum Geschenk machen. Aus Dankbarkeit für die Unterstützung, die Salome der krebskranken Rachel geleistet hat. Doch nach dem Tod seiner Ehefrau will Manie davon nichts mehr wissen. Amor, einem von drei Kindern, missfällt das.

Risse in der weißen Festung

Damon Galgut beginnt seine große Familiengeschichte, die vom Rassismus in Südafrika geprägt ist, in der Endphase der Apartheid. Im Jahre 1986 haben Weiße das Sagen und Schwarze das Nachsehen. Der Fahrer der Familie heißt Lexington und muss eine Chauffeurmütze tragen. Manie sagt: „Damit die Polizei sofort erkennt, dass er kein skelm, kein Krimineller ist, sondern mein Fahrer.“ Und wer von Lexington gefahren werde, der müsse auf dem Rücksitz Platz nehmen, damit die Schranken sofort klar ersichtlich seien. So läuft das. Noch.

Doch die Zeiten sind im Wandel. Bald schon zeigen sich Risse in der weißen Festung. In den Townships kommt es zu Protesten. Und schon im nächsten Kapitel befinden wir uns im Jahre 1995. Familienoberhaupt Manie stirbt, nachdem er sich voller Gottvertrauen in einen Glaskäfig mit Giftschlangen hatte einsperren lassen. Nun ist es an Anton, dem Erstgeborenen, der Übergabe des Hauses an Salome zuzustimmen. Aber nein! Amors Zureden hilft auch diesmal nichts. Allerdings ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch lange nicht gesprochen.

Taumelnd durch die neue Zeit

Die Swarts stehen hier für jene weißen Südafrikaner, die der demokratische Aufbruch in die Desorientierung treibt. Kraftlos taumeln sie durch die neue Zeit. Für diese Szenen aus einem zerrissenen Land hat Damon Galgut ein fabelhaftes Ensemble gefunden. Jeder in der Familie Swart ist – wie es einmal heißt – „auf seine ganz eigene Art kompliziert“. Das gilt allerdings auch für die weiteren Mitwirkenden, nicht zuletzt die herrlich verwirrten beziehungsweise zwiespältigen Vertreter der Kirche. Sie alle werden staunenswert anschaulich porträtiert im Reichtum ihrer Eigenarten und Gedankengänge. Daraus entsteht ein satirisch grundiertes Sittenbild Südafrikas im Wandel. 

Zuweilen schweift der Erzähler wie die Kamera in einem Wes-Anderson-Film von Zimmer zu Zimmer und schaut, was gerade geschieht, geschehen ist, geschehen wird. Sehr souverän, sehr entspannt. Immer wieder wechselt die Erzählperspektive. Selbst eine Tote hat ihren Kurzauftritt als Wasserfarbenfrau. Das geht hin und her und ist erfrischend kurzweilig.

Durchdrehende Reifen im Sand

Im Grunde sitzen wir mit den Erzählerinnen und Erzählern am Schreibtisch. „Guter Satz, schnell notieren, bevor er wieder weg ist.“ hören wir Anton denken, als er mal wieder an der Reihe ist. Er müsste „eigentlich etwas tun“, aber tut es nicht. Und der Satz, der ihm dazu einfällt, ist wirklich eine Notiz wert: „Dieses schlierige Gefühl, die Verschwommenheit der Ränder, sind das die Augen oder das Gehirn?“

Überhaupt findet Galgut ziemlich viele packende Formulierungen. Sätze wie diese: „Der Verstand des Priesters gleicht einem durchdrehenden Reifen, der im Sand festen Halt sucht.“ Diese Sprachkraft verlangt auch der Übersetzung einiges ab. Thomas Mohr löst die Aufgabe bravourös. Auch für gelegentliche Extravaganzen ist er zu haben. Da fließt dann ein „Nee, lassma!“ in ein Gespräch ein, wird eine Kneipe als „schräger, irgendwie ziemlich danebener Laden“ enttarnt und gibt es gelegentliche Anleihen in der Comicsprache (Unterabteilung: Hund): „naar harr har“.

Die Liebe im Namen

Ja, Damon Galgut ist ein herausragender Autor, der für den Roman „Das Versprechen“ aus nachvollziehbaren Gründen den diesjährigen Booker-Preis erhalten hat. Dass ihm beim ernsten Apartheid-und-Post-Apartheid-Thema der Witz nicht vergangen ist, darf nachdrücklich begrüßt werden. Jedenfalls meldet sich der Schalk im Nacken recht regelmäßig. Anders lässt es sich auch kaum erklären, dass die heimliche Heldin den Liebesgott Amor und ihre weiße Familie die Farbe Schwarz im Namen trägt. Ein starker Roman.

Martin Oehlen

Damon Galgut: „Das Versprechen“, dt. von Thomas Mohr, Luchterhand Literaturverlag, 368 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

4 Gedanken zu “Familienszenen aus einem zerrissenen Land: Damon Galguts preisgekrönter Südafrika-Roman „Das Versprechen“

  1. Vor allem die schnelle mutige, rhapsodische Schnitt-Technik, die aus dem Übermaß des erzählerischen Materials resultiert, hat mich sehr überzeugt. Galgut klebt nicht an kleinen Details. Er hat in Hülle und Fülle zu berichten, und das merkt man auch, so dass grobe Zeichnungen und intensive Kleinstszene nebeneinander stehen. Ich bin sehr beeindruckt von dem Buch gewesen und geblieben. Dem Humor nachzuspüren, habe ich noch gar nicht versucht. Und „Amor Swartz“ ist mir tatsächlich entgangen, wobei das Buch klar für Salome und Amor Partei ergreift. Ein wunderbares Buch. Viele Grüße.

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  2. Pingback: Damon Galgut - Das Versprechen - LiteraturReich

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